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HelHeg-AxoRoa

HelHeg-AxoRoa

Titel: HelHeg-AxoRoa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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abfällige Diskussion über Hartz IV ausbrechen würden, anstatt meine halbtote Mutter schnellstmöglich aus unserer Scheißwohnung zu schaffen. Es waren sechs Schritte zur Haustür, die meine Angst ins Unermessliche steigerten. Ich klingelte, sie machte nicht auf. Wie am Tag zuvor. Ich klingelte mindestens zweiundzwanzig Mal in geregelten Abständen, bis ich anfing, fest davon überzeugt zu sein, dass sie tot war. Dann rannte ich wieder zu irgendeiner Telefonzelle, und als ich stehen blieb und die Nummer meines Vaters wählte, merkte ich, dass sich jeder Atemzug von mit Panik gekoppelter Erschöpfung so anfühlte, als würde er meinen kompletten Brustkorb zerreißen.
    »Hallo Papa hier ist Mifti ich hoffe du hörst das hier ab bitte setz dich sofort in einen Zug und komm her egal wo du bist die Mama ist tot sie macht jedenfalls nicht die Tür auf und ich weiß nicht was ich jetzt tun soll ich weiß einfach wirklich nicht was ich tun soll jetzt, danke übrigens für die Schwimmflossen.«
    Ich rannte wieder zurück. Hinter unserem Haus befand sich ein schmaler, verwucherter Garten. Von dort aus versuchte ich, mit einem Stein eine unserer Fensterscheiben einzuschmeißen. Es funktionierte nicht. Mein hundertsechsunddreißig Zentimeter großer Körper probierte trotz seiner nahrungsmangelbedingten Leistungsschwäche völlig unkontrolliert alle Möglichkeiten aus, die ihm zur Verfügung standen. Ich heulte bitterlich, schmiss Blumenkästen durch die Gegend und rannte mindestens eine halbe Stunde von der einen Seite des Gartens zur anderen und dann wieder zu der einen und danach wieder zu der anderen. Mein letzter Versuch bestand darin, eine siebensprossige Haushaltsleiter an die Fassade zu lehnen und von der höchsten Stufe an die Regenrinne zu springen, um mich von dort aus auf das Flachdach ziehen zu können. Ich hing zehn Sekunden an dieser Regenrinne.
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    Dann rutschte ich ab und landete im Halbspagat auf den verrosteten Resten eines kaputten Grills. Aus meinem linken Oberschenkel ertönte ein Geräusch, das sich anhörte, als würde jemand vor einem Megaphon in einen Apfel beißen. Es war so laut, dass mich in erster Linie das Geräusch erschreckte und nicht die Schmerzen, die sich eine halbe Sekunde später durch die Beckengegend zogen. Als ich versuchte aufzustehen, fiel ich wieder hin. Ich robbte zwei Meter über den Boden und beschloss dann, für den Rest meines Lebens einfach liegen zu bleiben. Ich stellte mir vor, wie befreiend es sein könnte, niemanden mehr lieben zu müssen. Ich stellte mir vor, wie ich nach der Beerdigung meiner Mutter in einem kleinen Waldstück neben den Bahnschienen von Brombeeren und weggeworfenen Getränkedosen leben würde. Dann beging ich den größten Fehler meines bisherigen Lebens. Jemand rief: »Mifti?«
    Ich dachte, es wäre meine Mutter, deswegen schrie ich: »Ich bin hier.«
    Plötzlich stand eine aus ihren zu engen Klamotten quillende, bebrillte Frau mit kurzen schwarzen Haaren vor mir, die in diesem Augenblick der hässlichste Mensch zu sein schien, den ich je ge sehen hatte. Als ich in ihr das alleinerziehende Elternteil meiner Klassenkameradin Charlene Kaplitz-Pittkowski erkannte, sprang ich trotz der Schmerzen auf und richtete mir reflexartig die Haare.
    »Dein Vater hat mich angerufen.«
    »Was?«
    Sie war Chemielehrerin und monatelang wütend auf mich gewesen, weil ich Charlenes siebenjährigem Bruder ein in ihren Augen gewaltverherrlichendes Lara-Croft-Badehandtuch geschenkt hatte.
    »Dein Vater hat mich angerufen.«
    »Warum hat mein Vater dich angerufen?«
    »Er hat gesagt, du kommst nicht in deine Wohnung rein. Und dass du vermutest, deine Mutter sei tot.« Weil ich schwach war, nickte ich.
    »Ich kümmere mich darum, o. k., Mifti? Guck mich mal an.« »Ahm ...«
    »Du gehst jetzt zu Charlene, die wartet auf dich und hat schon Schmetterlingsnudeln mit Butter und Zucker gekocht, die ihr dann essen könnt.«
    Anstatt ihr meine Gedärme ins Gesicht zu kotzen, kapitulierte ich und trat den fünfminütigen Fußmarsch zu dem soliden Mehrfamilienhaus an, in dem Charlene Kaplitz-Pittkowski gemeinsam mit ihrer Familie ein Vierzimmerparadies mit Wintergarten bewohnte. Ich musste über einen Spielplatz und danach durch eine Schrebergartenanlage humpeln. Mein Bein tat so weh, dass ich es am liebsten abgehackt hätte. Als mir Charlene in ihrer blauweißgestreiften Strumpfhose verschüchtert die Tür öffnete, wirkte sie beinahe so, als wäre es ihr peinlich,

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