Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)
Eltern, die zum Beispiel die Zimmer ihrer Kinder an allen Ecken und Kanten mit Schaumgummi ausstaffieren – oder sie von vornherein in ein Aufprallkissen verpacken.
Ich habe mich bemüht, umfassend zu recherchieren, und sowohl wissenschaftliche als auch populäre Literatur ausgewertet. Ein wissenschaftliches Werk soll das Buch nicht sein. Ich möchte die Fakten und Zusammenhänge aufzeigen – und dabei aber auf zugespitzte Bewertungen nicht verzichten, um mein Anliegen verdeutlichen zu können. Ich möchte auch provozieren, um auf bestimmte Entwicklungen aufmerksam zu machen. Damit sich vielleicht auch die Eltern selbst der Kritik stellen können. Verletzen will ich Eltern mit meiner bewussten Überzeichnung und Ironie keineswegs. Nur gewinnen und einladen zum Nachdenken und Überprüfen.
Ich würde allerdings niemals so weit gehen, wie es der Lehrer David McCullough anlässlich seiner Rede zur Abschlussfeier an einer elitären High School in Wellesley , einem Vorort von Boston, am 1. Juni 2012 tat. Er las seinen Absolventen in einer Rede, die millionenfach auf YouTube angeklickt wurde und fast ebenso oft Zustimmung fand, die Leviten: «You are not special … You are not exceptional … You’ve been pampered, cosseted, doted upon, helmeted, bubble-wrapped … But do not get the idea you’re anything special. Because you’re not.» Dass sie nichts Besonderes, nichts Außergewöhnliches, dass sie in Watte gepackt und unter eine Art Schutzglocke gesteckt worden seien, sage ich den Absolventen meiner Schule nicht, weil das ganz und gar nicht meine Meinung ist. Aber ich möchte es gern so manchen Eltern sagen. Die Kinder können ja nichts dafür, wenn sie einerseits zu ihrem eigenen Schaden zu sehr von den Eltern gefördert werden, ohne noch ein Quäntchen Freiraum zur Entwicklung zu haben, und andererseits zu sehr gepampert werden, damit sie bloß nicht vom Ziel der Eltern abgelenkt werden. Die Eltern rauben ihnen damit ein Stück Zukunft – genauer: die Grundausstattung, um ihre Zukunft zu bewältigen oder gar zu gestalten. Kindern in der Gluckenfalle wird eine wichtige Mitgift für das Leben vorenthalten. Und ein allein auf die zukünftigen Chancen eines Kindes ausgerichteter Förderwahn bedroht am Ende die Kindheit. Indem die Gegenwart nicht mehr gelebt werden darf, weil nur noch die Zukunft zu zählen scheint, könnte man behaupten: «Ja, die Zukunft frisst ihre Kinder.» Deshalb gilt auch hier: Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut.
Wir sollten als Eltern bei allen durchaus natürlichen Motiven, alles regeln und unter Kontrolle bekommen zu wollen, daran denken, dass Einmischung, Umklammerung, Überbehütung, Verschonung und Verwöhnung nicht nur Aspekte der Individualpsychologie, der Familienpsychologie und der Schulpädagogik sind. Es geht hier um das Wohl der Kinder, aber auch um gesellschaftliche, wenn nicht sogar gesellschaftspolitische Implikationen. Und es geht am Ende um den Bestand eines Gemeinwesens, dessen Basis der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat mit seinem Wirtschaftssystem der sozialen Marktwirtschaft ist. Lebten in ihm eines Tages nur noch gedrillte, verwöhnte, verschonte und überbehütete Menschen, würde dieses demokratische Gemeinwesen nicht mehr funktionieren, weil dann die tragfähige Basis fehlte.
Die Verwendung des Begriffs «Dekadenz» an dieser Stelle mag provokant wirken, und man ist geneigt, ihn für unpassend zu erachten. Zu denken geben müssten uns aber Aussagen namhafter Historiker und Politologen, unter ihnen Alexander Demandt, der die Dekadenz in seinem Werk «Das Ende der Weltreiche» (1997) als «die Verbindung verfeinerten Lebensstils mit sinkender Lebenskraft, eines Zuviels an Subtilität mit einem Zuwenig an Vitalität» beschreibt. Der britische Politologe Colin Crouch macht sich Sorgen um den Zustand einer «Postdemokratie» (2004), die als Demokratie institutionell zwar noch funktioniere, die aber ihre Vitalität eingebüßt habe, «weil die Mehrheit der Bürger eine passive, ja apathische Rolle spiele».
Das bedeutet: Eltern müssen nicht nur eine Verantwortung gegenüber ihrem Kind wahrnehmen, sondern es auch zu einem tüchtigen Mitglied unserer Gesellschaft erziehen.
Solche und solche Eltern
Noch nie gab es in Deutschland so viele bewusst erziehende und kritisch reflektierende Eltern. Es gibt aber auch das Gegenteil. Es sind grundsätzlich zwei Typen zu unterscheiden, die Sorgen machen – nicht nur schulisch, sondern gesamtgesellschaftlich:
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