Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)
ausgesetzt.»
Gelegentlich ist man versucht zu fragen, warum die rund 60 Millionen erwachsenen Deutschen keine 60 Millionen Psychopathen und Neurotiker sind. Schließlich hatten sie jahrzehntelang keine Rundumbetütelung, kein Helicopter-Parenting und in den seltensten Fällen Mütter und Väter, die bereits wegen Kleinigkeiten als Strafverteidiger und Staatsanwälte in Personalunion in die Schulen stürmten.
Was kommt bei all dem Kümmern und Regeln heraus? Am Ende führt das bei Kindern zu einer Überempfindlichkeit, einer Neurasthenie, wie sie früher hieß und wie sie schon in Hans-Christian Andersens «Prinzessin auf der Erbse» aus dem Jahr 1837 zu finden ist. Die spürte durch zwanzig Matratzen und zwanzig Daunendecken hindurch eine Erbse: «Ich habe auf etwas Hartem gelegen, sodass ich am ganzen Körper ganz braun und blau bin.» Daran, so Andersen weiter, habe man sehen können, dass sie eine wirkliche Prinzessin gewesen sei, denn: «So feinfühlig konnte niemand sein außer einer echten Prinzessin.» Horst Hensel (2002) prägte darum den Begriff «Aristokratisierung kindlichen Verhaltens» und trifft genau die aktuelle Entwicklung.
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Förderwahn ohne Maß und Ziel
Noch nie ist so viel erzogen worden wie heute. Vermutlich hat die Vorstellung der schier generalstabsmäßig durchgeplanten Erziehung und Förderung von Kindern ihre Wurzeln in den USA. Und von daher haben die im Buch zitierten amerikanischen Beispiele ihre Berechtigung.
Hier kamen zwei Entwicklungen zusammen: der zunächst die gesamte Psychologie und Pädagogik dominierende Behaviorismus mit seiner Ideologie des «Alles ist machbar» und sodann der Sputnikschock von 1957. Mit dem Vor-Augen-Führen der technischen Überlegenheit der Sowjetunion ging eine fieberhafte Suche nach exzellenten Köpfen los, mit denen man den Rückstand wieder aufholen wollte. Das 1977 erschienene Buch «Kindergarten Is Too Late» war eines von vielen Ergebnissen dieses Bestrebens. «Warten Sie bloß nicht bis zum Kindergarten», lautete die Losung, und sie suggerierte schon damals die heute angeblich sogar hirnbiologisch unterfütterte Vorstellung, dass jede Förderung, die erst mit dem Kindergarten einsetze, zu spät komme.
Ein Land voller «Hochbegabter»
Heute geht der Förderrummel der Helikopter-Eltern nicht selten einher mit verklärten Visionen von einem perfekten, tollen, maßgeschneiderten Designer- und Premiumkind vom Reißbrett. Daneben weckt die Medizin mit jedem Fortschritt in der Pränatalmedizin und in der Pädiatrie die Erwartung, dass Eltern ein Kind ohne jeden «Makel» bekommen können. Nach der Geburt setzt eine Kindererziehung wie im Treib- und Gewächshaus ein. Es dürfte nicht mehr lange dauern, und die milliardenschwere «Exzellenzinitiative» deutscher Bildungspolitik zugunsten einiger Spitzenuniversitäten wird sich auf Kindergärten mit Exzellenz-Pädagogik ausweiten.
Etliche Eltern haben sich einem eigenwilligen Umkehrschluss verschrieben: Wenn Eltern schon Verursacher von Entwicklungsdefiziten ihrer Kinder sein können, dann muss man doch wohl qua Erziehung in der Lage sein, ein perfektes Kind zu produzieren. Dabei wäre das Beste für das Kind oft leichter und einfacher erreichbar, wenn man eben nicht immer das Beste zu inszenieren versuchte. Von pädagogischer Intensivstation zu pädagogischer Intensivstation – das geht nicht gut. Am Ende setzt oft ein pädagogischer Jojo-Effekt ein, nämlich dann, wenn die Kinder nach einer Fördermaßnahme dümmer oder antriebsloser dastehen als vorher.
Ob Eltern dabei immer daran denken, was ihnen eigentlich das Bürgerliche Gesetzbuch mit seinem Paragraphen 1626 vorgibt, darf bezweifelt werden. Dort heißt es nämlich: «Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbstständigem verantwortungsbewusstem Handeln.»
Früh übt sich: Babytuning
Bei steigender Nachfrage nach Literatur und länger werdenden Wartelisten bei den Coaches werden oft schon lange vor der Einschulung wahre elterliche Förderorgien inszeniert. Das kommerzielle Angebot passt sich dem an, bzw. es schafft die entsprechende Nachfrage nach allem, was nach «Babytuning» und «Baby-Boosting» aussieht. Und so prasseln auf verunsicherte und überehrgeizige Eltern Ratschläge in einer Art und Weise herunter, wie dies bei Arzneimittelempfehlungen nie und nimmer zulässig wäre.
Beispiele: Luxus- und
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