Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)
Die einen sind die Null-Bock-Eltern, die sich überhaupt nicht um ihre Kinder kümmern. Sie lassen sie verwahrlosen, ihnen ist alles egal. Man kann sie etwa seitens der Schule fünfmal anschreiben, einbestellen – es passiert nichts. Diese Eltern machen mit Abstand am meisten Sorgen. Die anderen , um die es in diesem Buch geht, sind diejenigen, die sich um alles und noch mehr kümmern und die ihre Kinder damit schier erdrücken.
Es sei die Schätzung gewagt, dass – bei steigender Tendenz – beide Gruppen jeweils 10 bis 15 Prozent unserer Eltern ausmachen. Bei erheblichen regionalen Unterschieden zwischen dem flachen Land, sozialen Brennpunktvierteln und Wohlstandsgegenden.
Auf diese zwei mal 10 bzw. 15 Prozent der Eltern, also insgesamt 20 bis 30 Prozent, müssen die Schulen, die Kindergärten, die in der Jugendarbeit Tätigen 70 bis 80 Prozent ihrer Zeit und Energie aufwenden.
Im Umkehrschluss heißt das: Die meisten Eltern haben bodenständige Vorstellungen von Erziehung und Bildung. 70 bis 80 Prozent von ihnen handeln unkompliziert, kooperativ und verantwortungsbewusst. Eine pauschale Elternschelte ist demnach völlig unangebracht. Und es müssen ja nicht alle Eltern pädagogische Helden und Heilige sein. Lehrer sind es auch nicht alle. Es gibt also keinen generellen Erziehungsnotstand – weder im Elternhaus noch in der Schule. Millionen von Eltern erziehen engagiert und sinnvoll. Hunderttausende von Lehrern wissen um ihre vermehrten erzieherischen Aufgaben, und sie kommen diesen Aufgaben nach bestem Wissen und Gewissen nach. Und dennoch: Das Phänomen der Helikopter-Eltern wird immer bedeutsamer.
Waren es bislang die gegenüber Bildungsfragen sich weitgehend desinteressiert verhaltenden Eltern, die die Energie der Pädagogen beanspruchten, so gesellt sich neben diese Problemgruppe in wachsender Stärke eine Gruppe von Eltern, die das totale Gegenteil darstellt: eine Art hyperaktive Eltern. Früher, als es den Begriff «Helikopter-Eltern» noch nicht gab, waren es ein paar einzelne nicht nur überaus wohlwollende, sondern besonders wohlhabende Eltern. Bei den Helikopter-Eltern heute, die übrigens immer später Kinder bekommen, immer mehr Geld zur Verfügung haben, ist das PP-Syndrom, das Pascha- und Prinzessinnensyndrom, nun quer durch alle Schichten zu beobachten. Es drückt sich auch in den großen Zeitungsanzeigen aus, wenn dort zu lesen ist: «Suche Betreuerin für unseren kleinen Prinzen.» Früher hießen die Prinzen übrigens Muttersöhnchen. Die Bedeutung des einzelnen Kindes ist also gnadenlos übersteigert, was zu einem unangemessenen Anspruchsdenken auf beiden Seiten führt.
Der Anteil der maßlos überziehenden Eltern wächst. Eine Pädagogik der totalen Einmischung greift um sich, sie ist der Pendelausschlag von der No-Education-Bewegung der 1980er-Jahre ins krasse Gegenteil. Der Grund könnte darin liegen, dass die Versuchskaninchen pädagogischer Experimente der 1970er und 1980er Jahre heute selbst Eltern sind. Bei ihnen hat sich realisiert, was Spötter als Erziehung definieren, nämlich als das Bemühen, Kinder von der Nachahmung Erwachsener abzuhalten. Nur ist es nicht beim Nichtnachahmen geblieben, sondern alles ist ins Extrem umgeschlagen. Heute ist ein pädagogischer Totalitarismus angesagt. Der hat viele Gesichter. Und dies beileibe nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA, in Japan, in Südkorea, in so ziemlich allen EU-Ländern.
Aus dem Nähkästchen eines Lehrers
Anekdoten der nachfolgenden Art könnten so ziemlich alle Erwachsenen beitragen, die beruflich oder ehrenamtlich mit Kindern der Helikopter-Eltern zu tun haben: Busfahrer, Kassiererinnen, Erzieherinnen, Kinderärzte und Übungsleiter in Sportvereinen. Da kommt es vor, dass eine Mama – in den USA heißen solche Frauen aus gutem Grund Soccer-Moms – mit dem Fußballtrainer streitet, weil sie ihren Sohn für falsch aufgestellt hält, oder sich beklagt, dass man ihn gar nicht aufgestellt habe. Natürlich habe die Mannschaft deswegen verloren, so meint sie. Die Rechthaberei mancher Eltern geht, wie der Spiegel berichtet, so weit, dass die Eltern der jungen Spieler den Schiedsrichter oder die gegnerische Mannschaft attackierten oder verunglimpften, weil sie sich schlecht behandelt fühlten. Allein in Bayern soll dies im Jahr 2010 in 69 Fällen vorgekommen und dem bayerischen Fußballverband gemeldet worden sein.
Folgende Beispiele sind willkürlich aus dem kunterbunten, aber realen schulischen Alltag
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