Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)
wirtschaftlicher Prosperität. Dort, wo man in Europa die niedrigsten Abiturientenquoten hat, hat man zugleich die besten Wirtschaftsdaten. Längst weiß man auch, dass Bayern und Sachsen sowie (noch!) Baden-Württemberg bei wissenschaftlichen Schulleistungsvergleichen regelmäßig mit Abstand am besten abschneiden. Längst weiß man, dass dieser Vorsprung mit eindeutig identifizierbaren Faktoren zu tun hat: In diesen drei Ländern haben die Schüler mehr Unterricht als andernorts (Kraus, 2011a). Der Zugang eines Kindes zu einer bestimmten weiterführenden Schule ist an gewisse Leistungen geknüpft. Bereits zum Erwerb eines mittleren Schulabschlusses muss sich ein Schüler einer zentralen Abschlussprüfung stellen. Und: Die Anforderungen sind höher, die Notenregelungen strenger. So einfach ist das. Das ist Bodenhaftung.
Trotzdem wird die Motivlage der Pädagogik und der Schulpolitik immer schizophrener. Aus der 68er-Pädagogik wird der Glaube an die Machbarkeit jeder Persönlichkeit und jedes Gesellschaftssystems mittels Pädagogik übernommen.
Unwort «Humankapital»
Das zeigt sich schon in der volkswirtschaftlichen Betrachtung des Kindes als «knappes Gut». Allein der in diesem Kontext gern verwendete Begriff «Humankapital» assoziiert wirtschaftliche Verwertbarkeit. Der Mensch, das Kind wird wie ein Rohstoff gesehen, der durch «Bildung» zu einem «Nützling» werden soll, Bildungsabschlüsse werden zur Ware, Erziehung und Bildung ökonomisch kolonisiert. Welche Blüten das treibt, dokumentieren zwei seltsame Hochrechnungen von «Ökonomen» mit klingenden Namen und/oder Professorentiteln: Die mögliche Rendite einer Reform der Kindergärten und Grundschulreform wird mit acht Prozent Gewinnzuwachs für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) angegeben. Und ein IFO-Mann aus München hat errechnet, dass die deutsche Volkswirtschaft bis zum Jahr 2090 (!) einen Gewinn von über zwei Billionen Euro habe, wenn es gelinge, alle deutschen Schüler auf einen PISA-Wert von mindestens 495 zu liften.
Nein, es kann nicht sein, dass an erster Stelle Ökonomen bestimmen, was gelernt werden muss und was abgeprüft wird. «Bildung» verkommt sonst zum Abrichten für ökonomisch verwertbare Kompetenzen. Dass die Kritik daran nicht nur in Deutschland lauter wird, ist erfreulich, wenngleich diese Kritik im vormaligen Land der Dichter und Denker, im Land des Bildungsidealismus, noch nicht durchdringt. Allerdings hat kein anderes Land der Welt irgendwelche Schulleistungsstudien in so gläubiger und zugleich masochistischer Weise angenommen wie Deutschland.
Interessant ist, dass selbst ein so renommierter Soziologe wie der Brite Frank Furedi in seinem bislang nicht in deutscher Sprache erschienenen Buch «Wasted – Why Education Isn’t Educating» schreibt: Die Politisierung von Bildung und Erziehung ist eines ihrer Kernprobleme, womit er die fortschreitende ökonomische Betrachtung von Bildung meint. Bildung sei damit entleert worden und ihr Eigenwert in den Hintergrund getreten. Sein US-Kollege Richard Sennett – «Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus» (2002) – beschreibt, wie die globalisierte Wirtschaft den Menschen deformiere. Deren Leitbild sei der anpassungsfähige Mensch, die Ich-AG. (Der Originaltitel des Sennett-Buches von 1998 trifft den Kern des Problems übrigens genauer: «The Corrosion of Character»). Dabei hatte sogar einer der heftigsten Verteidiger des Kapitalismus, Joseph Schumpeter, schon Mitte des 20. Jahrhunderts festgestellt, dass der Utilitarismus, den der Kapitalismus anstiftet, die Familie zersetzt und damit Erziehung und Bildung, weil nämlich der Kapitalismus auf das setzt, was der Familie schadet: Ungebundenheit und Gewinnmaximierung.
Entscheidend sollte für Eltern also nicht sein, was bildungsbewegte Pyrotechniker an Abiturientenquote, Kompetenzenstandards, Outputorientierung, Curricularvalidierung und Just-in-time-Qualifizierung versprechen, sondern was den eigenen Kindern eine Zukunft eröffnet – ob mit oder ohne Hochschule. Das ist das eigentlich Soziale, was Bildung neben der Förderung individueller und kultureller Identität leisten muss.
Konkretes Wissen statt hohler Pseudokompetenz
Und das Wichtigste ist: Wir müssen wieder auf Inhalte setzen! Lasst es nicht zu, möchte man Eltern zurufen, dass aus Lehrplänen Leerpläne werden! Bildungspolitik und sogenannte Bildungswissenschaften berauschen sich schon viel zu sehr an «Kompetenzen»: In den Lehrplänen finden wahre
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