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Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)

Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)

Titel: Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Kraus
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zugute kamen. Es gibt heute in Deutschland rund 50 verschiedene Wege zu einer Studierberechtigung – was manchmal etwas anderes ist als Studierbefähigung. Gegen die Meinung von der Ungerechtigkeit des deutschen Schulwesens steht zweitens: Es war das differenzierte Schulwesen, das die Abiturientenquote binnen 30 Jahren mehr als verfünffacht hat.
    Natürlich sollen alle Kinder gleiche Startchancen haben. Aber Chancen sind Chancen, jedoch keine Vollkaskogarantien, zu Erfolgsaussichten werden sie erst durch eigene Anstrengung. Gerade beim Bildungserfolg kommt es auf gelebte Eigenverantwortung an, und dafür sind in erheblichem Maße die Eltern verantwortlich. Der Staat hat dabei eine Bringschuld, das heißt, er muss ein möglichst leistungsfähiges und differenziertes Bildungswesen vorhalten. Die Adressaten haben aber auch eine Holschuld. Wer die Chancen nicht nutzt, der kann sich nicht auf die angebliche Selektivität des Systems berufen, sondern er praktiziert Selbstselektion.
    Das deutsche Bildungswesen bietet ansonsten eine ausgeprägte soziale Durchlässigkeit. Der Anteil der Schüler, die ein Gymnasium besuchen, sagt über diese Tatsache nichts aus. Es geht um die vertikale Durchlässigkeit des Bildungswesens. Diese ist gegeben, da jeder Schulabschluss zugleich einen Anschluss an weiterführende Bildung im Oberstufen- und im beruflichen Bildungsbereich darstellt. Die immer wieder aus einer bestimmten Ecke behauptete soziale Ungleichheit des deutschen Bildungswesens ist ansonsten ein PISA-Artefakt. Man kann soziale Ungleichheit bzw. Gleichheit nämlich nicht mit PISA messen, weil PISA 15-Jährige testet und damit weggeschoben wird, dass rund die Hälfte der später Studierberechtigten kein Gymnasium besucht hat.
    Langzeitstudien zum Beispiel von Helmut Fend an den Universitäten Zürich und Konstanz haben zudem nachgewiesen: Der Besuch einer Gesamtschule schafft keineswegs verbesserte soziale Aufstiegsmöglichkeiten. Basis dieser Untersuchung mit dem Titel «LiFE = Lebensverläufe ins frühe Erwachsenenalter» war die Analyse der Lebensläufe von 1527 Personen vom 12. bis zum 35. Lebensjahr im Großraum Frankfurt. Diese hatten in den 1980er Jahren entweder eine Schule des gegliederten Schulwesens, eine Förderstufe oder eine Gesamtschule besucht. Zentrales Ergebnis der LiFE-Studie ist: Die soziale Selektivität bei den verschiedenen Stufen des Bildungs- und Berufswegs wird weder durch Förderstufen noch durch Gesamtschulen reduziert, wiewohl diese Schulformen diesen Anspruch seit Jahrzehnten erheben.
    In der ELEMENT-Studie 2008 von Prof. Dr. Rainer H. Lehmann von der Humboldt-Universität in Berlin heißt es hinsichtlich sozialer Durchlässigkeit einer vierjährigen versus sechsjährigen Grundschule: «Die ELEMENT-Studie hat keine Anzeichen dafür geliefert, dass der gemeinsame Unterricht in den Klassenstufen fünf und sechs soziale Disparitäten abschwächt.»
    Ergo: Eltern sollten sich nicht von schulpolitischer Propaganda irremachen lassen. Das deutsche Bildungswesen bietet – bei einem Leistungsgefälle allerdings zwischen den 16 deutschen Ländern – Chancen über Chancen. Der Mensch beginnt nicht mit dem Abitur. Die Wahl des schulischen Bildungswegs durch Eltern darf nicht das Ergebnis eines eingeflüsterten schulpolitischen Alarmismus ideologischer Verengung sein, sondern muss das Resultat einer Reflexion sein, bei der ganz oben die Frage steht: Welche Schulbildung wird meinem eigenen, ganz individuellen Kind gerecht?
    Nach welchen Kriterien aber sucht man die ganz konkrete Schule für sein Kind aus? In ihrer Ratlosigkeit surfen Eltern bei «SPICKMICH» und «FOCUS», ohne sich über die Fragwürdigkeit der dort praktizierten Lehrer- und Schulrankings im Klaren zu sein. Oder sie lesen sich auf den Websites der in Frage kommenden Schulen deren Leitbilder durch, um am Ende festzustellen, dass diese meistens Glaubensbekenntnisse sind: «Wir achten … Wir betonen … Wir schätzen … Wir glauben …» Man sollte vor allem hellhörig werden, wenn eine Schule Edutainment und Bespaßung verspricht. Und man sollte die Informationsveranstaltungen der in Frage kommenden Einrichtungen besuchen und sich daraus ein Bild machen. Vor allem sollte man die Egalisierung «Eltern – Kind» nicht so weit treiben, dass am Ende das Kind gefragt wird: «Magst du in dieses Gymi oder in ein anderes …?»
    Ansonsten sollten Eltern bei der Schulwahl genau hinschauen, wenn ihnen super Bilanzen aufgetischt werden.

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