Hellas Channel
mich dazu, ihr auf die sanfte und freundliche Tour entgegenzukommen. Vielleicht kann ich so an ihr journalistisches Ehrgefühl appellieren. Ich biete ihr den Stuhl vor meinem Schreibtisch an.
»Setzen Sie sich doch, und reden wir in aller Ruhe über das Ganze«, sage ich.
»Unmöglich, ich muß zum Sender. Ein andermal.« Schlagartig scheint sie Taranteln im Hintern zu haben. Das macht sie absichtlich, die Hure, um mich auf Nadeln sitzen zu lassen.
Als sie die Tür öffnet, trifft sie auf Thanassis, der gerade mit einem Schriftstück das Zimmer betreten will. Sie blicken sich in die Augen, und die Karajorgi lächelt ihn an. Thanassis wendet schnell seinen Blick ab, doch die Karajorgi läßt ihre Augen eindringlich und herausfordernd auf ihm ruhen. Es sieht so aus, als ob sie scharf auf ihn wäre. Damit zeigt sie keinen schlechten Geschmack, denn Thanassis sieht durchaus gut aus. Großgewachsen, dunkelhäutig, kräftig gebaut. Ich werde ihn wohl auf sie ansetzen müssen, um zwei Dinge herauszufinden: erstens, ob sie tatsächlich etwas über die Albaner weiß und es vor mir verbirgt, und zweitens, ob sie lesbisch ist.
Sie winkt mir zu, als wolle sie mich zum Abschied freundschaftlich grüßen. Doch in Wirklichkeit will sie mir damit zu verstehen geben: ›Warte, bis du schwarz wirst, du Pfeife.‹ Sie schließt die Tür hinter sich. Thanassis kommt auf mich zu und überreicht mir das Schriftstück.
»Der Obduktionsbefund des albanischen Ehepaars«, sagt er. Das Augenspiel mit der Karajorgi hat ihn in Verlegenheit gebracht, und seine Hand zittert, als er mir das Blatt Papier übergibt. Er ist sich nicht sicher, ob ich es bemerkt habe und wie ich darauf reagieren werde.
»Gut«, sage ich zu ihm, »laß den Befund hier.« Ich bin nicht in der Stimmung, ihn zu lesen. Was soll er mir denn Neues sagen? Was die Leichen zu offenbaren hatten, war mit bloßem Auge zu erkennen. Nur die genaue Tatzeit war nicht ersichtlich, aber die hat auch wenig Bedeutung. Wäre ja noch schöner, wenn der Albaner ein glaubwürdiges Alibi nachweisen könnte und wir es ihm widerlegen müßten. Die Karajorgi weiß auch nichts. Sie blufft, wie alle Reporter. Sie will meine Neugier anstacheln und mich dazu bringen, ein paar Informationen lockerzumachen. Es gibt keine Kinder. Wenn es welche gäbe und sie verschwunden wären, hätten wir das von den Nachbarn erfahren.
3
Adriani starrt in den Fernseher. Vor geschlagenen fünf Minuten habe ich das Wohnzimmer betreten, und noch immer beachtet sie mich in keiner Weise. Sie hält die Fernbedienung krampfhaft umklammert. Doch ihr Zeigefinger ist jederzeit bereit, den Sender zu wechseln, sobald der Werbeblock über die Zuschauer hereinbricht. Auf dem Bildschirm knurrt ein kraushaariger Polizeibeamter eine dunkelblonde Frau an. Jeden Abend treffe ich auf ihn, entweder verhört er gerade jemanden, oder er trägt Gewissensbisse zur Schau. In beiden Fällen knurrt er. Wären Polizisten tatsächlich so wie im Fernsehen, dann säßen wir alle mit Vierzig nach einem Herzinfarkt im Rollstuhl.
»Wozu fletscht er denn die ganze Zeit die Zähne, der Wichser?« frage ich unvermittelt. ›Wichser‹ füge ich deswegen hinzu, weil ich weiß, daß es sie auf die Palme bringt, wenn ich mich verächtlich über die Helden ihrer Lieblingsserien äußere. Ich will sie aufstacheln, damit sie mir Beachtung schenkt. Doch ich habe mich verrechnet.
»Ssst!« zischt sie heftig, während ihr Blick immer noch an dem uniformierten Kraushaarigen hängt. »Was glotzt du denn, du Armleuchter! Mach endlich den Mund auf!« pflegte mir mein Vater zuzurufen, bevor er mir eine Ohrfeige verpaßte. Was er jetzt wohl täte, wo doch keiner mehr den Mund aufmacht und jeder bloß in die Glotze starrt. Gut, daß er tot ist, der Alte verstünde die Welt nicht mehr.
Wie jeden Abend ziehe ich mich ins Schlafzimmer zurück und nehme das Wörterbuch von Dimitrakos aus dem Regal. Die Ablage mit vier Querbrettern bedeutungsvoll ›Bücherregal‹ zu nennen wäre eine heillose Übertreibung. Auf dem obersten Brett befinden sich die Wörterbücher: das Große Lexikon der griechischen Sprache von Liddell-Scott, das Rechtschreib- und Bedeutungswörterbuch von Dimitrakos, das Lexikon der sinn- und sachverwandten Wörter von Vostantzoglou, das Herkunftswörterbuch von N. P. Andriotis und das griechische Lexikon von Tegopoulos-Fytrakis. Wörterbücher sind mein einziges Hobby. Ich bin weder Fußballanhänger noch Heimwerker. Wenn irgend jemand unser
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