Hellas Channel
etwas ganz anderes steckt. Etwas, woran weder Sie noch ich im Augenblick denken.«
Er erhebt sich und geht zur Tür. »Sie werden sehen, daß ich recht habe. Mein Riecher hat mich noch nie getrogen«, sagt er beim Hinausgehen.
Ich richte meinen Blick aus dem Fenster und versuche zu erraten, was er mir sagen wollte. Daß er noch etwas weiß und es vor mir geheimhält? Höchstwahrscheinlich.
Auf dem Balkon der Alten sitzt, zwischen zwei Blumentöpfen eingezwängt, die Katze und schaut, ihre Schnauze an das Balkongitter gepreßt, den Passanten auf der Straße nach. Wir haben Anfang Dezember, und nach zwei Tagen Hundekälte ist es jetzt wieder heiß wie in einem Treibhaus. Das macht mich krank, dieses Dreckwetter.
22
P etratos wohnt in der Asimakopoulou-Straße, gleich neben dem Jugendzentrum im Stadtteil Ajia Paraskevi. In einer dieser Neubausiedlungen, die von PR -Fritzen, Kaderleuten und EU -Programm-Projektleitern bewohnt werden. Der Raum zwischen den Strebepfeilern, auf denen das Gebäude wie ein Pfahlbau ruht, dient nicht wie üblich als Parkplatz, sondern ist zur grünen, blühenden Gartenlandschaft umgestaltet. Die Tiefgarage hat einen getrennten Eingang. Die Klingelanlage ist mit einer Videoüberwachungsanlage kombiniert, damit man deine Visage sehen kann, wenn du klingelst, und man es sich noch überlegen kann, ob man dir öffnen will oder nicht.
Ich suche mir auf gut Glück einen Namen aus und bin schon dabei, auf den Klingelknopf zu drücken, als ich eine Frau um die Vierzig aus dem Fahrstuhl kommen sehe. Sowie sie die Haustür öffnet, schlüpfe ich hinein. Petratos wohnt in der zweiten Etage. Dort befinden sich drei Wohnungen, zwei davon liegen eng aneinandergedrängt, während die dritte den anderen beiden allein gegenüberliegt. Ich beginne bei der dritten Wohnung, die überdies dem Fahrstuhl am nächsten liegt.
»Yes?« sagt die Philippinin, die mir die Tür öffnet.
Die guten alten Zeiten sind vorbei, als die Familien noch junge Frauen vom Dorf als Mädchen für alles bei sich einstellten, die den Stammhalter außerdem in die Künste der Liebe einführten. Jetzt läutest du irgendwo, und eine Philippinin öffnet dir, die auf englisch radebrecht, während du dir selbst bruchstückhafte sprachliche Trümmer aus dem Gedächtnis kramst. Es lebe die Völkerverständigung.
Sobald ich das Wort police verwende, beginnt sie zu zittern. Augenscheinlich arbeitet sie illegal. »No problem, not for you« , sage ich zu ihr, und mein fehlerfreies Englisch beruhigt sie sofort. Ich frage sie, ob sie Petratos kenne und ob sie ihn gestern nachmittag kommen oder gehen sah und um welche Uhrzeit. Die Antwort auf die erste Frage lautet yes , auf die beiden anderen no , und mit dem zweiten no schlägt sie mir die Tür vor der Nase zu.
Ich läute an der Tür neben Petratos’ Wohnung, und diesmal lacht mir das Glück. Es öffnet eine Landsmännin an die Sechzig. Ich erkläre ihr, wer ich bin, zeige meine Dienstmarke, und sie läßt mich rein. Als ich mich nach Petratos erkundige, stimmt sie wahre Lobeshymnen an.
»Herrn Petratos? Na klar kenne ich den! Ein ausgesprochen feiner Herr!«
»Wissen Sie vielleicht, wann er normalerweise nachmittags das Haus verläßt?«
»Warum?« fragt sie, von jähem Mißtrauen erfaßt.
Ich beuge mich vertraulich vor, als offenbarte ich ihr die Geheimnisse einer Freimaurerloge. »Sie werden davon gehört haben, daß zwei Journalistinnen des Hellas Channel , wo auch Herr Petratos arbeitet, ermordet wurden.«
»Ich habe es in den Nachrichten gehört. So junge Menschen! Was für eine Tragödie, mein Gott!«
»Im Zuge unserer Maßnahmen und um weitere Opfer zu vermeiden, überwachen wir die Wohnungen aller Journalisten des Hellas Channel . Deshalb wollen wir wissen, wann er genau zu Hause ist, insbesondere nachmittags und abends. Gestern nachmittag zum Beispiel, haben Sie ihn da vielleicht kommen oder gehen sehen?«
»Weshalb fragen Sie ihn denn nicht selbst?«
»Die Journalisten sind ein seltsames Völkchen, sie mögen die Einmischung der Polizei nicht. Darüber hinaus wollen wir diskret vorgehen, um keine Panik zu verbreiten.«
Meine Antwort scheint sie zu überzeugen, denn sie denkt nach. »Was soll ich Ihnen sagen«, meint sie schließlich. »Morgens geht er gegen elf Uhr außer Haus, denn ich komme oft um diese Zeit vom Einkaufen zurück, und wir begegnen einander im Hausflur. Mittags habe ich ihn noch nie gesehen, denn nach dem Essen lege ich mich immer hin. Nachmittags sehe
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