Helle Barden
Ohr. Niemandem mangelte es an Narben. Und al e verfügten über
lange, spitze Zähne.
»Wartet hier«, sagte der Schwarze Roger.
»Versucht nicht wegzulaufen«, zischte Schlächter. »Sonst könnte es
passieren, daß euch jemand die Eingeweide aus dem Leib reißt.«
Angua senkte den Kopf, bis er sich auf einer Höhe mit Gaspodes be-
fand. Der kleine Hund zitterte.
»In welche Situation hast du mich gebracht?« fragte sie leise. »Dies ist
die Hundegilde, nicht wahr? Und sie besteht aus Streunern?«
»Pscht! Sag das bloß nicht! Das sind keine Streuner.« Gaspode sah sich
um. »Die Gilde besteht nicht aus irgendwelchen Hunden. Nein. Diese Hunde hier sind…« Er senkte die Stimme. »… böse gewesen.«
»Böse?«
»Ja. Böse Hunde. Du weißt schon. Ungezogener Bursche! Willst du
wieder den Pantoffel spüren?« Bei Gaspode klang es wie eine schreckli-
che Litanei. »Al e Hunde, die du hier siehst… Jeder einzelne von ihnen
ist von zu Hause abgehauen. Sie sind ihren Eigentümern entwischt.«
»Das ist alles?«
»Ob das alles ist? Al es? Ja. Natürlich. Du bist kein Hund in dem Sinne.
Deshalb kannst du das kaum verstehen. Du weißt nicht, wie es ist. Aber
der Große Fido… hat es ihnen erklärt. Streift eure Würgeketten ab, sagt
er. Beißt in die Hand, die euch füttert. Steht auf und heult. Er gibt ihnen Stolz«, betonte Gaspode mit einer Mischung aus Furcht und Faszination.
»Ja, er erklärt ihnen al es. Und wenn ein Hund nicht mit ganzem Herzen
nach Freiheit strebt, dann ist er bald ein toter Hund. In der vergangenen Woche hat er einen Dobermann umgebracht, und zwar nur deshalb, weil
er mit dem Schwanz wedelte, als ein Mensch vorbeikam.«
Angua sah zu einigen der größeren Hunde, die ungepflegt und auf eine
sonderbare Art unhündisch erschienen. Sie bemerkte einen kleinen, zierli-chen weißen Pudel, dessen Fell noch immer den letzten Trimm verriet,
und einen Schoßhund, an dem die Überbleibsel eines karierten Jäckchens
hingen. Die Tiere liefen nicht etwa bel end und jaulend umher. Sie stan-
den stumm und still, strahlten eine Entschlossenheit aus, die Angua
schon einmal gesehen hatte, al erdings nicht bei Hunden.
Gaspode zitterte immer heftiger. Angua näherte sich dem Pudel, der
ein glitzerndes Halsband trug – der Glanz verlor sich fast in seinem
schmutzverkrusteten Fell.
»Ist der Große Fido eine Art Wolf oder so?« fragte sie.
»Im Grunde ihres Wesens sind alle Hunde Wölfe«, antwortete der Pu-
del. »Aber die Manipulationen der Menschen haben viele von uns auf
grausame und zynische Weise von unserer wahren Bestimmung ge-
trennt.«
Es klang wie ein Zitat. »Hat das der Große Fido gesagt?« spekulierte
Angua.
Der Pudel drehte den Kopf, und zum erstenmal sah sie seine Augen.
In ihnen brannte das rote Feuer der Höl e. Ein Geschöpf mit solchen
Augen konnte jedes andere Geschöpf töten, denn Wahnsinn – wahrer
Wahnsinn – ist imstande, eine Faust durch dickes Holz zu rammen.
»Ja«, erwiderte der Große Fido.
Einst war er ein normaler Hund gewesen. Er hatte gebel t, sich auf den
Rücken gerol t und fortgeworfene Gegenstände zurückgeholt. Er erin-
nerte sich ans Gassigehen, jeden Abend um die gleiche Zeit.
Als es geschah, kam es nicht wie ein Lichtblitz oder dergleichen. Er lag in seinem Körbchen, wie sonst auch, und dachte an seinen Namen, der
außen am Korb stand. Er dachte an die Decke, in die »Fido« eingestickt
war, und an den Freßnapf mit der Aufschrift »Fido«. Er grübelte auch
über das Halsband nach, das ebenfal s den Namen »Fido« trug. Irgend-
wann machte es tief in ihm Klick, woraufhin er die Decke fraß, sein Herrchen anfiel und anschließend durchs Küchenfenster floh. Draußen
stand ein Labradorhund, mindestens viermal so groß wie Fido, und lach-
te über das Halsband. Dreißig Sekunden später machte er sich winselnd
auf und davon.
So begann al es.
Die Hundehierarchie war eine einfache Angelegenheit. Fido brauchte
nur zu fragen, meistens mit relativ undeutlicher Stimme, weil er das Bein eines Rivalen zwischen den Zähnen hatte. Schon nach kurzer Zeit fand
er den Anführer der größten Meute von wilden Hunden in der Stadt. Die
Leute – beziehungsweise Hunde – sprachen noch immer über den
Kampf zwischen Fido und dem Bellenden Irren Arthur, einem Rottwei-
ler, der nur ein Auge und permanente schlechte Laune hatte. Die meisten
Tiere kämpfen nicht um Leben und Tod, sondern nur um Sieg und Nie-
derlage. Und Fido
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