Helle Barden
zeigte etwas, das aussah wie der
Schaft einer Armbrust mit einem Rohr darauf. Weitere Linien deuteten
seltsame Mechanismen an. Hinzu kamen zwei der flötenartigen Gegen-
stände. Auf den ersten Blick wirkte alles wie sinnloses Gekritzel. Jemand
– wahrscheinlich Leonard – hatte ein Buch über Feuerwerkskörper gele-
sen und dies an den Rand gemalt.
Feuerwerkskörper.
Feuerwerkskörper waren keine Waffen. Böller machten Bumm. Raketen stiegen auf – mehr oder weniger – und bohrten sich in den Himmel.
Hammerhock hatte als wahrer Könner in mechanischen Dingen gegol-
ten. Im Gegensatz zur weitverbreiteten Ansicht war das keineswegs eine
für Zwerge typische Eigenschaft. Sie verstanden sich auf den Umgang
mit Metal , und sie stel ten gute Schwerter und Schmuck her, aber wenn’s
um Zahnräder und Federn ging, zeichnete sich nicht jeder von ihnen
durch technischen Sachverstand aus. Anders ausgedrückt: Hammerhock
war die Ausnahme von der Regel.
Also…
Angenommen, es gab eine Waffe. Angenommen, sie unterschied sich
von den herkömmlichen Waffen. Angenommen, sie war etwas Neues,
etwas Erschreckendes…
Nein, ausgeschlossen. Entweder gab es sie bald überal , oder sie wurde
zerstört. Sie endete bestimmt nicht im Museum der Assassinen. Was
brachte man in Museen unter? Dinge, die nicht funktionierten, die aus
der Vergangenheit stammten und nicht vergessen werden sol ten. Hatte
es einen Sinn, speziel e Feuerwerkskörper in einer Vitrine aufzubewah-
ren, damit man sie ansehen und bestaunen konnte?
Die Tür war mit mehreren Schlössern gesichert gewesen. Das war kein
Museum, das man einfach so betrat. Viel eicht mußte man ein hochran-
giger Assassine sein. Viel eicht wurde man irgendwann vom Gildenober-
haupt in diese Kammer geführt, mitten in der Nacht. Vielleicht hielt er
dort eine kurze Ansprache und…
Aus irgendeinem Grund schob sich an dieser Stelle das Gesicht des Pa-
triziers vor Mumms inneres Auge.
Erneut hatte er das Gefühl, daß er ganz dicht vor einer wichtigen, fun-
damentalen Erkenntnis stand…
»Wohin jetzt? Wohin?«
Ein Durcheinander aus Gassen umgab sie. Knuddel lehnte an einer
Wand und schnappte nach Luft.
»Dorthin!« rief Detritus. »Zum Fischbeinweg!«
Er wankte wieder los und setzte die Verfolgung fort.
Mumm stellte den Kaffeebecher ab.
Wer auch immer mit Bleiklumpen auf ihn geschossen hatte, hatte trotz
einer Entfernung von mehr als zweihundert Metern sehr genau zielen
können. Außerdem waren die zeitlichen Abstände zwischen den einzel-
nen Schüssen zu kurz gewesen, als daß ein Bogenschütze Gelegenheit
gehabt hätte, einen neuen Pfeil auf die Sehne zu setzen.
Mumm griff nach einer Flöte, die mit ziemlicher Sicherheit nicht musi-
kalischen Zwecken diente. Sechs kleine Röhren, sechs Schüsse. Man
konnte sich die Taschen damit vol packen. Man konnte damit schnel er
und über eine größere Entfernung hinweg schießen…
Eine neue Waffe. Eine neue Art von Waffe. Viel schnel er als ein Bogen. Das würde den Assassinen nicht gefal en. Bestimmt nicht. Selbst
den Bogen lehnten sie ab. Assassinen zogen es vor, aus nächster Nähe zu
töten.
Und deshalb… verstauten sie das Gfähr an einem sicheren Ort. Allein die Götter wußten, wie sie überhaupt in den Besitz des Apparats gelangt
waren. Nur einige wenige Assassinen mit sehr hohem Rang wußten Be-
scheid und gaben das Geheimnis weiter: Hütet euch vor solchen Geräten…
»Da unten! Er ist gelaufen in Tastgasse!«
»Nicht so schnell! Langsamer!«
»Wieso?« fragte Detritus.
»Es ist eine Sackgasse.«
Die beiden Wächter blieben dankbar stehen.
Knuddel wußte, daß er gewissermaßen das Gehirn des Teams darstel te
– auch wenn Detritus gerade die Ziegelsteine in der Mauer neben ihnen
zählte und stolz strahlte.
Warum hatten sie jemanden durch die halbe Stadt gejagt? Weil er weg-
lief. Niemand lief vor der Wache weg. Diebe zeigten einfach ihre Lizenzen. Ein Dieb ohne Lizenz fürchtete sich nicht vor der Wache, weil er
seine ganze Furcht für die Diebesgilde brauchte. Assassinen achteten das
Gesetz. Und ehrliche Bürger hatten keinen Grund, vor der Wache zu
fliehen* – so etwas war im höchsten Maße verdächtig.
Der Ursprung des Namens »Tastgasse« verlor sich glücklicherweise im
Nebel der Zeit, aber er konnte kaum treffender sein. Im Laufe der Zeit
hatte sich die Gasse in eine Art Tunnel verwandelt, als die Häuser rechts und links aufgestockt worden waren – bis nur
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