Hell's Angels (German Edition)
meisten Karten, die ich besitze, stehen jeweils drei oder vier Telefonnummern, und fast alle diese Anschlüsse sind abgestellt, weil Rechnungen nicht bezahlt wurden.
Aus irgendeinem Grund habe ich Brunos (oder Harpos)
Karte nicht mehr, aber ich erinnere mich an ihn, weil er mir ein Bier klaute. Ich konnte das kaum fassen, denn er hatte sich zunächst große Mühe gegeben, dafür zu sorgen, dass ich keinen falschen Eindruck von den Gypsy Jokers bekam. Hin und wieder stellten wir unsere Biere auf dem Kofferraumdeckel des Wagens ab, an dem wir lehnten. Kurz bevor er wieder ging, machte ich mir eine neue Dose auf, stellte sie hin und sah dann, wie Bruno/Harpo sie geschickt gegen seine austauschte, die leer war. Als ich das Hutch gegenüber erwähnte, zuckte der mit den Achseln und sagte: »Das ist wahrscheinlich nur eine Angewohnheit, so ein Trick, den man lernt, wenn man in Kneipen trinkt und kein Geld hat.«
Derartige Angewohnheiten sind in der Welt der Outlaws weit verbreitet. Die Outlaws können ausgesprochen freundlich zu Außenstehenden sein, aber das heißt nicht, dass man ihnen auch bedingungslos vertrauen kann. Einige klauen wie die Raben, aus reiner Gewohnheit oder innerem Zwang, während andere alles Mögliche tun, um einen nichts ahnenden Außenstehenden vor den diebischeren unter den Brüdern zu beschützen – die allerdings nie bemitleidet oder bestraft, sondern nur sorgfältig im Auge behalten werden. 37
Es gibt eine Anekdote über einen Angel, der ins Badezimmer eines Fremden ging, bei dem er zu Besuch war. Dort durchwühlte er die Hausapotheke und fand ein Fläschchen mit orangen Tabletten, die wie Dexedrin aussahen –
und die er prompt schluckte. Als ihm anschließend schlecht wurde, erzählte er dem Hausherrn von den Tabletten und fragte kleinlaut, ob er da etwas falsch gemacht habe. Wie sich herausstellte, hatte er eine schwere Überdosis Cortison genommen – ein Medikament, das für seine entzündungshemmenden Eigenschaften ebenso bekannt ist wie für seine unberechenbaren und bizarren Nebenwirkungen. Der Mann, dessen Tabletten er geschluckt hatte, war gar nicht froh darüber und sagte dem Angel, er würde davon wahrscheinlich Furunkel und Eitergeschwüre bekommen, die ihn wochenlang peinigen könnten. Als er das hörte, verkroch sich der Outlaw ängstlich in seine momentane Bleibe. Er bekam zwar keine Furunkel, erzählte aber, er habe sich etwa zehn Tage lang krank und »am ganzen Körper komisch« gefühlt. Als er wieder genesen war, sagte er, durch den Vorfall habe er etwas Wichtiges gelernt: Er müsse sich nun keine Gedanken mehr darüber machen, welche Pillen er schlucken könne, denn sein Körper käme mit allem zurecht, was er einwerfe.
Nachdem mein Bier geklaut worden war, ging ich über die Lichtung, um mir ein neues zu holen. Zu diesem Zeitpunkt war für jeden, der um das Lagerfeuer stand, unübersehbar, dass der Bierberg schon beinahe verschwunden war. Binnen etwa einer Stunde würden die, die nichts gebunkert hatten, Durst leiden müssen. Das würde zu Spannungen führen, und die Hamsterer forderten am lautesten, man solle noch einmal Bier holen fahren. Andernfalls hätten sie ihre Vorräte teilen oder kämpfen müssen. Einige Leute waren schon zu stoned oder betrunken, um sich Sorgen um den Biervorrat zu machen, aber ein harter Kern von etwa fünfzig Trinkern, die vorhatten, die Nacht durchzumachen, begann mit dem umständlichen
Vorgang des Geldeinsammelns. Im Camp herrschten mittlerweile chaotische Zustände. Barger war im Wald verschwunden, und die beim Feuer geblieben waren, hatten von allen am wenigsten Geld.
Dass in Bass Lake die Läden geschlossen hatten, spielte dabei keine Rolle. Tiny sagte, ein »Freund« von ihm betreibe am Highway einen Supermarkt. Er würde den Laden auch mitten in der Nacht öffnen, wenn jemand um das Gebäude herumgehen und an sein Schlafzimmerfenster klopfen würde. Ich hörte aufmerksam zu, denn mir war klar, wer den Stoff würde holen müssen. Die Polizei würde keine Angels aus dem Lager herauslassen, und die einzigen Nicht-Angels, die noch zur Stelle waren, waren ich und ein Junge, der am Nachmittag dazugekommen war und sich nun Sorgen machte, wie er nach Hause kommen sollte. Bis er das gestand, hatten alle gedacht, er wäre ein Freund von irgendwem. In Wirklichkeit war er ein blinder Passagier. Niemand hatte große Lust, ihm aus dem Camp herauszuhelfen, aber er beharrte darauf, er müsse sich mit ein paar Freunden treffen, die auf der
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