Hell's Angels (German Edition)
bevorstehende Zerstörung eines kalifornischen Ferienorts durch eine Armee von fünfhundert Motorrad-Rockern,
und nicht einmal ein Lokalreporter war vor Ort, um aus erster Hand für die Nachrichtenagenturen zu berichten. Wie sich dann herausstellte, bekam die Presse die Story von der Polizei – per Telefon, was angesichts des Riesenwirbels, den sie im Vorfeld gemacht hatte, seltsam erschien.
Schließlich gab der Präsident der Jokers das Zeichen, und wir donnerten vom Parkplatz herunter. Die Anführer-Bikes scherten auf die Straße aus, und die übrigen folgten mit Gebrüll und aufheulenden Motoren. Doch dann ließ der Lärm sofort nach. Nachdem die Formation ein paar Blocks weiter auf den Freeway gewechselt hatte, fuhren die Fahrer mit konstant 65 Meilen pro Stunde zu zweit auf jeder Fahrspur nebeneinander her. Alle blickten grimmig und entschlossen; die Fahrer sprachen untereinander kein Wort.
Da ist ein Mensch, der keine Identität hat. Aber heute Nacht hat er die Polizei und die Feuerwehr von Los Angeles in Aufregung versetzt. Seinetwegen wurde die Nationalgarde alarmiert. Heute Nacht ist er jemand. Heute Nacht hat er eine Identität. – Reverend G. Mansfield Collins, Pfarrer aus Watts, nach dem Aufruhr von 1965
Da sie die berüchtigtsten Berühmtheiten seit Jahren waren, lockte ihr Treck nach Bass Lake entlang der ganzen Strecke scharenweise entsetzte Bürger an. In Tracy, einer Stadt mit etwa elftausend Einwohnern am US Highway 50, kamen die Leute aus den Läden gelaufen, um sich das anzusehen. Ich stand gerade in einem klimatisierten Spirituosengeschäft und kaufte Bier, als die Outlaws durch die Stadt fuhren. »Grundgütiger!«, sagte der Verkäufer.
Er lief zur Tür und stieß sie auf, und Lärm und heiße Luft drangen von der Straße herein. Er stand da mehrere Minuten lang, eine Hand auf dem Arm eines Kunden, der sich zu ihm gestellt hatte. In der ganzen Innenstadt von Tracy hörte man nur noch das Brüllen der Motoren. Die Outlaws fuhren langsam die Hauptstraße hinab, wie bei einer Truppenschau, hielten dabei die Formation strikt ein, sprachen kein Wort und verzogen keine Miene. An der östlichen Stadtgrenze beschleunigten sie auf 65 Meilen pro Stunde und donnerten außer Sicht.
In Modesto, am Highway 99, im Central Valley, standen Menschenmengen am Straßenrand und Fotografen an den Kreuzungen der Innenstadt. Einige der Fotos tauchten später bei Associated Press auf – wunderbare Aufnahmen, Unabhängigkeitstag in Kalifornien, und die Einheimischen brechen, im neusten Westküstenstil zurechtgemacht, ins Gebirge auf.
Während die Hauptgruppen der Outlaws in gesetzeskonformer Formation auf das Ziel zusteuerten, beeilten sich Nachzügler und ultraharte Unabhängige den Hauptpulk einzuholen. In der Nähe der Ausfahrt Manteca donnerten mit einem Mal vier Hangmen aus El Cerrito an mir vorüber. Sie tauchten in meinem Rückspiegel aus dem Verkehr auf. Ich sah sie kommen, ehe ich den Lärm hörte, und plötzlich waren sie direkt neben meinem Wagen und erfüllten den sonnigen, friedlichen Morgen mit einem Donnern, das mein Radio übertönte.
Die Autos hielten sich rechts, wie um Platz zu machen für die Feuerwehr. Vor mir fuhr ein Kombi mit mehreren Kindern hinten drin. Sie zeigten ganz aufgeregt auf die Outlaws, die so nah vorbeifuhren, dass man sie um ein Haar mit ausgestreckter Hand hätte berühren können. Der ganze Verkehr bremste ab; die Motorräder brausten
so schnell vorüber, dass manche Leute wahrscheinlich dachten, es sei ein tief fliegendes Schädlingsbekämpfungsflugzeug vorbeigedüst. Das hätte allerdings niemanden länger als einen Augenblick irritiert. Was das plötzliche Auftauchen der Outlaws so beängstigend machte, war der plötzliche, gewaltsame Einbruch von etwas völlig Fremden. Das Central Valley bietet fruchtbares Ackerland. Am Straßenrand sieht man handbemalte Schilder, die für den frischen Mais und die frischen Äpfel und Tomaten werben, die man an hölzernen Ständen feilbietet; auf den Feldern fahren Traktoren in gemessenem Tempo die Ackerfurchen ab, die Fahrer durch über dem Sitz angebrachte gelbe Schirme vor der Sonne geschützt. Es ist eine Atmosphäre, in die Schädlingsbekämpfungsflugzeuge ebenso passen wie Pferde und Rinder. Aber keine Outlaw-Motorradfahrer: Die wirkten hier so fehl am Platz wie ein Haufen Black Muslims beim Georgia State Fair. Der Anblick dieser Flüchtlinge aus der Unterwelt der Großstadt, die frei im Norman-Rockwell-Land herumliefen, war
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