Hell's Angels (German Edition)
Scharfrichterschwert und diverse Motorradtrophäen.
Ich erinnere mich an kein Gelächter an diesem Morgen vor dem El Adobe. Es trafen immer noch Angels ein, die sich verspätet hatten, und statt alleine aufzubrechen, hielten sie sich lieber an die dortige Gruppe. Hin und wieder fuhr jemand auf dem Hinterrad quer über den Parkplatz. Andere hockten sich hin und schraubten in letzter Minute noch ein wenig an ihren Vergasern herum, und die, die weiter nichts zu tun hatten, standen schweigend neben ihren Maschinen, rauchten Zigaretten und tranken aus den Bierbüchsen, die herumgereicht wurden. Bill, der Präsident der Jokers, beugte sich nachdenklich mit Dirty Ed, Präsident der Haywarder Hell’s Angels, über eine Landkarte. Hutch, der Vizepräsident und Sprecher der Jokers, stand mit zwei Angels neben meinem Wagen und hörte sich die Nachrichten an. »Mann, die Typen da oben sind ja völlig durch den Wind«, sagte einer der Angels. »Ich hoffe bloß, die sperren nicht ihre ganzen Weiber weg.«
Das sichere Wissen, von einem Polizeikommando mit Hunden erwartet zu werden – ein Wissen, das nun durch Radiomeldungen bestätigt wurde –, hatte schon bei der Vorbereitung des Runs eine Rolle gespielt. Viele, die normalerweise ihre »old Lady« mitgenommen hätten, hatten die Mädels zu Hause gelassen, für den Fall, dass es zu einem ernsthaften Zusammenstoß mit der Polizei kam. In
einer Kleinstadt auf dem Lande eingelocht zu werden, ist schon schlimm genug, aber wenn die Frau oder Freundin im selben Gefängnis sitzt – statt von zu Hause aus mit Anwälten und Kautionsbürgen zu telefonieren –, ist das ein doppeltes Risiko, das die Angels gelernt haben zu vermeiden.
Als ich sonst stets in weiblicher Begleitung reisende Kerle wie Sonny, Terry, Tiny, Tommy und Zorro ohne ihre Frauen sah, wurde mir klar, dass die Outlaws mit Ärger rechneten. Doch statt dem aus dem Weg zu gehen, wie sie es früher oft getan hatten, waren sie diesmal entschlossen, es darauf ankommen zu lassen. »Es ist ja nicht so, dass wir wirklich so scharf auf Bass Lake wären«, sagte Barger, aber wenn es in den Zeitungen und im Radio heißt, dass sie uns da oben schon auflauern, können wir keinen Rückzieher mehr machen. Wir müssen diesen Run durchziehen, sonst lassen die uns nie mehr in Ruhe. Wir wollen keinen Ärger, aber wenn es nun mal Ärger gibt, soll niemand sagen können, wir hätten den Schwanz eingezogen.«
Das war der Tenor auf dem Parkplatz, als auf die Radionachrichten um halb neun ein Rocksong mit dem Titel »A World of Our Own« folgte.
We’ll build a world of our own –
that no one else can share.
All our sorrows we’ll leave far behind us there ...
Der Song ließ die ganze Szene wie zu einem Bild erstarren. Während ich dort an diesem bitterkalten Morgen, an dem wir alle eigentlich hätten daheim im Bett liegen sollen, im Auto saß und aus einer Army-Feldflasche Kaffee trank, versuchte ich den Songtext mit der Szene, an der
ich da teilhatte, in Einklang zu bringen. Zunächst erschien es mir nur als ein x-beliebiges Teenager-Hirngespinst mit einem guten, swingenden Beat:
And I know you will find
there’ll be peace of mind –
when we live in a world of our own.
In unserer eigenen Welt – und dann wurde mir langsam klar, dass ich gerade genau das erlebte, mitten in einer Horde selbstgerechter Kerle, denen niemand etwas abschlagen konnte, seltsames Treibgut der Flut, hünenhafte Kämpfer, Wild Ones , Motorrad-Outlaws.
Ich hatte so das Gefühl, dass jeden Moment ein Regisseur auftauchen und mit Karten herumfuchteln würde, auf denen »Schnitt« oder »Action« stand. Die ganze Szenerie war zu seltsam, um real zu sein. An einem friedlichen Samstagmorgen hatte sich vor einer türkisch aussehenden Bruchbude von einer Kneipe diese sonderbare menschliche Höllenbrut versammelt, die Aufnäher trug, auf denen »Hell’s Angels« und »Gypsy Jokers« stand, und jetzt wollten sie zu ihrem jährlichen Unabhängigkeitstagspicknick aufbrechen – zu einer Monsterrallye, zu einer brutalen Parodie des ausgeflippt-coolen, melodramatischen Streifens, der Brando berühmt gemacht hatte.
Doch ihre Taten hatten ihr Echo in Time, Newsweek und der New York Times gefunden. So real war das Ganze zumindest. Grant Wood hätte es womöglich American Modern betitelt. Aber es war kein Maler zur Stelle – und auch keine Fotografen und Reporter des New Yorker Presse-Establishments. Hier schwatzte das Radio wie verrückt über die
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