Hell's Kitchen
kann, neben anderen Dingen, einen Mann, der diesen bestimmten Weg bereits einmal gegangen ist, ganz schön fertigmachen, wenn er erst einmal genauer darüber nachdenkt.
Und wieder saß ich da, hatte Father Loves Visitenkarten vor mir auf dem Tisch ausgebreitet, den ich an meinen grünen Sessel gezogen hatte. Auf dem Herd wärmte ich mir ein Chili auf, und das Radio spielte.
Langsam las ich jede einzelne Karte drei- oder viermal. Dann las ich mir jedes einzelne Bibelzitat laut und langsam vor:
»Da ist keiner, der gerecht sei, auch nicht einer... Es ist das Herz ein trotzig und verzagt Ding; wer kann es ergründen?... Die Väter haben saure Trauben gegessen, und den Kindern sind die Zähne stumpf geworden... Wer einen Toren zeugt, muß sich grämen, und eines Toren Vater hat keine Freude... Wo bittet unter euch ein Sohn den Vater ums Brot, der ihm einen Stein dafür biete?«
Und dann hob ich den Hörer des Telefons ab, und durch die Nebel der Jahre wählte ich eine Nummer aus dem tiefsten Herzen meiner Kindheitserinnerungen.
Eine Frauenstimme meldete sich und bestätigte, daß ich die Nummer nicht vergessen hatte: »Holy Cross Church.«
Ich sagte: »Ma’am, mein Name ist Detective Neil Hockaday, ich arbeite beim New York Police Department... Vor vielen Jahren war ich Chorknabe in Ihrer Kirche... Also, ich muß sofort mit einem Priester sprechen. Es geht um Leben und Tod.«
»Oh, mein Gott«, sagte die Sekretärin, »um das eine oder andere geht es hier immer. Bleiben Sie bitte dran, ja?«
»Ja...«
Und sie war fort. Nach ein paar Augenblicken sagte ein Mann: »Father Kelly am Apparat, womit kann ich Ihnen helfen?«
»Father... Kelly? Cash-Box...«
Und der Priester begann zu lachen. »Nein, wir sind nicht verwandt«, sagte er. »Das ist schon sehr lange her, wie mir die Senioren in der Gemeinde erzählt haben. Ich bin Timothy Kelly, und ich bin zweiunddreißig Jahre alt. Der andere Father Kelly - Cash-Box Kelly - ist, glaube ich, etwa 1961 gestorben.«
»Ja, ich denke, das müßte so ungefähr hinkommen«, sagte ich. »Hören Sie, Father, es tut mir sehr leid, aber ich...«
»Schon in Ordnung. Sie sind...«
»Detective Neil Hockaday. Ich brauche nur ein paar Minuten, und wenn es Ihnen nichts ausmacht, sofort. Zufälligerweise bin ich im Moment nur wenige Blocks von Ihnen entfernt.«
»Ich bin jederzeit gerne behilflich... noch dazu einem ehemaligen Chorknaben. Kommen Sie doch bitte einfach rüber.«
Heidi saß vor einer Apotheke auf der Ninth Avenue Ecke West Forty-second auf einem Steigrohr. Sie beobachtete mich, während ich darauf wartete, die Straße überqueren zu können.
»Kaffee, meine Liebe?« fragte ich, als ich auf ihrer Seite ankam.
»Kriege ich den nicht immer, wenn du in der Nähe bist?« sagte sie. »Wieso sollte es heute anders sein?«
Also verschwand ich in dem Deli ein paar Türen weiter, kaufte einen Becher und kehrte zu ihr zurück.
Sie zog den Plastikdeckel ab und trank einen Schluck.
»Gut. Mit Milch und Zucker, kein koffeinfreier. Du vergißt es nicht.«
»Gern geschehen, Heidi.«
Und dann kam mir die verrückte Idee einer leerstehenden Wohnung unter meiner eigenen, und daß ich Heidi helfen könnte, sich zumindest den Winter über dort einzunisten,
und falls mir der Vermieter deswegen Schwierigkeiten machen wollte, würde ich mich auch darum kümmern. Mir schien in diesem Augenblick nur wichtig zu sein, dafür zu sorgen, daß Mary Rooneys Aufstand wenigstens etwas Sinn hatte.
»Wie würde’s dir gefallen, da zu wohnen, wo ich wohne, Heidi? Es ist warm dort.«
»Was redest du da, Hock?«
»In meinem Haus ist eine Wohnung frei. Ich könnte dich da unterbringen.«
Heidi lachte rauh, und als sich ihr Gesicht verzog, sah es aus, als bereite ihr das Lachen Schmerzen.
»Wie soll ich denn wohl die Miete für eine richtige Wohnung aufbringen, Hock?«
»Das wäre nicht nötig. Du wärst so was wie ein Hausbesetzer.«
»O nein, damit die kommen und mich wieder raussetzen können, nachdem ich mich gerade an die Wärme gewöhnt habe? Nein, vielen Dank, Sir. Wenn’s so aussieht, bleib ich doch lieber bei dem, was ich kenne.« Sie zog ihren abgewetzten Pelzmantel enger um ihre Schultern und trank wieder einen Schluck Kaffee.
»Wirklich... hör zu, es würde dir nichts passieren. Ich werde dich beschützen...«
»Das haben schon viele Männer gesagt. Nein, danke, Sir.«
»Bitte...«
»Ich werde nichts dergleichen tun, genausowenig wie irgendwas anderes, durch das ich
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