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Hell's Kitchen

Hell's Kitchen

Titel: Hell's Kitchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Adcock
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hatte uns alle im Würgegriff. Ungefährt fünfhundert Straßenecken-Nikoläuse, vorübergehend nüchtern und über ihren Zustand auch nicht glücklicher, als ich es unter diesen Umständen sein würde, klingelten stadtauf, stadtab mit ihren Glocken. Die Stützsäulen von Macy’s Hauptverkaufsetage waren schon seit der letzten Oktoberwoche herausgeputzt wie Zuckerstangen. Nicht mehr lange, und die Trinkgeldzeit würde gewaltig über die Stadt hereinbrechen. Und wildfremde Menschen würden darauf bestehen, daß ich einen schönen Tag hatte, und auf der Kopfzeile meiner Stromrechnung würde in festlich rot-grüner Matrixdrucker-Schrift FRÖHLICHE FEIERTAGE stehen.
    Ich wußte nicht, wo ich Heiligabend hinsollte, am großen Höhepunkt des Jahres, wenn jeder da draußen mit Kindern und Frauen und gebratenen Truthähnen und Bergen von Geld für Geschenke darauf brennt, uns andere wissen zu lassen, wie überglücklich sie doch sind.
    Jedes Weihnachtsfest seit unserer Scheidung, was inzwischen ohne das kommende zwei gewesen sind, war ich zu dem Haus draußen in Ridgewood gefahren, wo Judy schon auf mich wartete, und wir hatten nichts geplant. Zu diesem Anlaß brachte ich es fertig, ziemlich gut auszusehen. Vincenzo bei meinem Friseur schnitt mir die Haare und rasierte mich besonders glatt, und ich zog irgendwas von Paul Stuart an, etwas in der Richtung von Flanellhose und Wildlederweste und Tweed-Sakko und Schuhe mit Troddeln. Ich brachte Perrier-Jouët in der geblümten Flasche mit, Judys Lieblings-Champagner, und Austern und ein teures Geschenk. Und große Hoffnungen, was den Abend und die Nacht betraf, Hoffnungen, die bislang auch immer erfüllt worden waren.
    Aber jetzt war das alles vorbei.
    Was bedeutete, daß ich an diesem Heiligabend mehr als nur wahrscheinlich genau dort sein würde, wo ich auch jetzt war. Auf meinem grünen Sessel, vermutlich mit irgendeinem chinesischen Außer-Haus-Menü auf dem Schoß, falls mir nicht danach war, ein Yuletide-Chili zu kochen. Natürlich würde ich trinken. Allein oder vielleicht auch mit Angelo im Ebb Tide. Und wahrscheinlich würde ich am Ende in meinen Philco glotzen: Christmas in Connecticut, gefolgt von Miracle on 34th Street, gefolgt von A Christmas Carol, gefolgt von March of the Wooden Soldiers, gefolgt von der Mitternachtsmesse aus der St. Patricks Cathedral, in der ich einmal in meinem Leben gesungen hatte - als Sopranstimme im Chor der Holy Cross. Judy hatte es ganz richtig gesagt -ich war immer noch der Chorknabe von damals.
    Ich wuchtete mich aus meinem Sessel und schaltete den Film aus, unmittelbar nachdem Reagan gesagt hatte: »Wo ist der Rest von mir?«
    Dann trat ich ans Fenster.
    Meine Aussicht bestand aus einem billigen Freßlokal, einer Tagelöhnervermittlung, einer absolut bewohnbaren Mietskaserne mit verrammelten Fenstern und Türen und Hausbesetzern drinnen, einem Laden mit einer roten Neonreklame, die die ganze schwarze Nacht über LIQUOR-LIQUOR-LIQUOR hinausschrie, außerdem zwei Türmen einer kroatischen Kirche, die heute meistens nur noch Beerdigungen durchführt, mittwochs Bingo veranstaltet und ihren Festsaal für puertoricanische Hochzeiten vermietet.
    Und natürlich konnte ich auch eine Ecke des Gebäudes sehen, in dem irgendwer Buddy-O umgebracht hatte, den kleinen Schwindler und Spitzel, der früher mal ein Jemand gewesen war. Und jemand anderes würde ungeschoren mit diesem Mord in den Überresten eines Viertels davonkommen, in dem er keine Rolle mehr spielte, in dem Aloysius Patrick Xavier Devlin eine Null geworden war.
    Ich ging zum Sideboard und schenkte mir einen schönen, großen Tumbler Johnnie ein. Und dann stand ich wieder vor dem Fenster und starrte hinaus in die Nacht.
    Patty Devlin und ich, dachte ich; auf unterschiedliche Art waren wir am gleichen Punkt gelandet. Aber allein ist allein. Und die Einsamkeit schleicht sich so langsam an einen heran, daß es einen völlig hilflos machen kann. Und oft genug mit der zusätzlichen Kümmernis, daß am Ende kein Mensch besonders bemerkt oder sich erinnert, daß man überhaupt da war.
    Ich schüttete mir einen weiteren Drink ein, leerte das Glas, beschloß, daß ich betrunken war, schenkte mir noch einen ein und ging zum Fenster, um dort zu trinken, bis ich nicht mehr aufrecht stehen konnte.
    Unten auf der Straße schlenderten zwei Nutten zu den Autos im dünner werdenden Verkehr, der vor der Ampel an der Kreuzung Tenth Avenue und West Forty-second anhielt und auf Grün wartete. Beide waren

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