Hell's Kitchen
wir das Geld zählen. Sie kennen doch das Klavier, das dort steht?«
»Ja«, sagte Waterman.
»Nun, es ist nicht mehr da.«
»Das Klavier ist gestohlen worden?« fragte ich.
»Dann haben wir ja wenigstens«, sagte Waterman, »ein richtiges Verbrechen in diesem Gebäude.«
»Sehen wir uns die Sache doch mal an«, sagte ich.
Entlang der nördlichen Außenwand des Healing Stream Deliverance Temple verläuft eine Gasse als Zufahrt für Anlieferungen und die Müllabfuhr. Eine Tür führt von dort ins Erdgeschoß und eine zweite zu einer breiten Stahltreppe, die in einen großen, offenen Raum mündet, der für gesellige Abende, Trödelmärkte und Jugendarbeit benutzt wird. Das verschwundene Klavier konnte von zwei Männern, die ihre Last auf einem Rollwagen transportierten, problemlos die Treppe hinaufmanövriert werden. Wenn sie erst einmal das obere Ende erreicht hatten, waren sie auch schon durch die Tür und auf der abgelegenen Gasse, und die Kirche hatte ein Klavier weniger.
Was allem Anschein nach auch genau so passiert war. Mit ein bißchen Hilfe von einem Insider.
»Es tut mir leid, daß es fort ist«, sagte Waterman. Wir standen am Fußende der Stahltreppe. »Es war nichts wert, in materieller Hinsicht, meine ich. Nur ein altes Klavier, das dringend gestimmt werden mußte. Es war das erste, das ich in meinem geistlichen Amt besessen habe. Ich habe selbst darauf gespielt, bevor ich mir einen richtigen Organisten leisten konnte.«
»Sie haben diese Außentüren nicht mit einer Alarmanlage gesichert?« erkundigte ich mich.
»Nein. Im ganzen Gebäude gibt es keine Alarmanlage.«
»Wer hat die Schlüssel?«
»Oh, viele von uns. Wir haben einen Kirchenvorstand, und soweit ich weiß, besitzen die meisten Mitglieder Schlüssel. Dann sind da noch unsere verschiedenen Organisationen, und natürlich auch die Kirchenfunktionäre und Aufseher. Sie alle besitzen Schlüssel.«
»Und die Kirchendiener?«
»Ja, die meisten der fest angestellten ebenfalls.«
Waterman schaute die Treppe hinauf zu der großen Stahltür, die mit schweren Stangen gesichert war. »Aber die meisten von uns haben für diese spezielle Tür dort keine Schlüssel«, sagte er. »Es ist nicht nötig. Wie Sie selbst sehen, hat sie nur auf der Innenseite Schlösser. Von außen gibt es keine Möglichkeit, sie zu öffnen. Keine Knäufe, Klinken oder Schlüssellöcher. Nichts. Jemand muß das Schloß von innen öffnen und die Tür aufziehen, wenn Lieferungen erwartet werden, was allerdings nicht sonderlich häufig der Fall ist.«
»Was war heute morgen hier los, in diesem Gemeinderaum?«
»Soweit ich weiß, stand hier unten heute nichts auf dem Plan. Nur die Buchhaltung im angrenzenden kleineren Raum. Aber das beginnt nicht vor Ende des ersten Gottesdienstes.«
»Zeigen Sie mir bitte das Schloß an der Tür dort oben.«
Ich folgte ihm die Treppe hinauf. Die Tür hatte zwei massive Stahlflansche, die über die Wand aus Hohlblocksteinen hinausragten. Diese waren mit Sicherheitsschlössern versehen, so daß die Tür von innen fest auf dem Stein befestigt war. Zusätzlich lag über die gesamte Breite der Tür eine massive Stahlstange, die auf beiden Seiten in Halterungen lag.
Die Schlösser waren entriegelt, die Stange senkrecht hochgestellt.
Ich drückte die Tür zur Gasse auf und trat hinaus. Die schmale Zufahrt war gerade breit genug für einen städtischen Müllwagen. Am einen Ende mündete die Gasse auf die St. Nicholas Avenue, am anderen befand sich ein hoher, mit einem blattlosen Klettergewächs überwucherter Zaun. Dahinter auf einem Abrißgrundstück ein zerfallenes Gebäude, dürre Bäume und Unkraut. Was dahinter lag, konnte ich nicht sehen.
Ich drehte mich zu Waterman um, der unmittelbar hinter mir in der Tür stand. »Ich will mich hier mal kurz umsehen. Warten Sie bitte dort auf mich, ja?«
Auf der Suche nach etwas, das vielleicht von demjenigen zurückgelassen worden war, der das Klavier hatte mitgehen lassen, ging ich das kurze Stück bis zur St. Nicholas Avenue.
Häufiger als man glaubt, sind Diebe sehr nachlässig. Einmal habe ich am Tatort eines Fassadenkletterers eine Brieftasche gefunden. Abgesehen von einem Streifen Automatenfotos aus einer Spielhalle befand sich nichts darin, doch das reichte. Auf sechs Fotos strahlte der Einbrecher mit seiner Freundin in die Kamera. In einem Spielsalon an der Mott Street in Chinatown, wo man eine Menge dieser Fotoautomaten findet, gelang es mir, das Mädchen zu identifizieren. Nachdem ich
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