Hell's Kitchen
Morgen mit einem kleinen Berg darauf, von dem sie einen wunderschönen Blick auf ganz Rhinecliff hatte. Sie hätte Postkarten von dieser Aussicht machen lassen können.
Dort oben wollte sie ein Haus, und sie wollte, daß es ein Meisterwerk wurde, und genau das hat sie dann auch bekommen.
Miss Jessie sprach mit den besten Architekten und Zimmerleuten und Bauunternehmern, die sie finden konnte. Viele von ihnen kamen aus New York zu uns rauf. Aber am Ende hat sie Sam engagiert, meinen Papa, weil es ihr gefiel, wie begeistert er von ihrer Vorstellung von dem Haus war, und weil er vorgeschlagen hatte, es sollte eine Veranda auf der ganzen Außenseite haben, und weil er meinte, eine zentrale Bibliothek mit runden Wänden wäre einfach perfekt für ihre Sammlung von Büchern und Uhren.
Ich glaube, ich weiß, was Miss Jessie gefühlt haben muß, als sie mit Papa redete und beobachtet hat, wie er auflebte, wenn er davon sprach, Dinge zu bauen, und wie seine Hände sich bewegten, wenn er von seiner Arbeit erzählte, so als würde er viel lieber hämmern und sägen und verzapfen, statt nur darüber zu reden.
Also hat Papa ihr Haus gebaut. Es hat ihn mehr als drei Jahre gekostet. Oh, das war was, Hock! Ich wünschte, ich hätte dich damals schon gekannt. Du hättest dabeisein müssen, als ich den Berg hinauf zu Miss Jessies Haus und dann in die runde Bibliothek ging, um all ihre Uhren aufzuziehen. Das war mein erster bezahlter Job - fünfundzwanzig Cents am Tag und eine Tasse Tee - und Miss Jessie brachte mir bei, wie man sich als Dame benimmt.
Sie war mit ihrem Haus so glücklich, daß sie Papa ein kleines Stück von ihrem Land schenkte, als er den Bau beendet hatte. Es war ein schönes Grundstück mit Tannen am Fuß des Berges. Sie ließ ihn dort ein Cottage für seine alten Tage bauen, mit einer Veranda vor dem Haus, die dem großen Eingang des letzten Hauses, das er gebaut hatte, gegenüberlag - seinem Meisterstück.
Papa saß fast jeden Abend auf seiner Veranda, und dann schaute er zu dem auf, was er mit seinen Händen geschaffen hatte. Und so bin ich aufgewachsen, Hock, glaub’s oder laß es bleiben.«
Mona strich mit den Fingern durch ihr Haar und räusperte sich. »Und rat doch mal, was aus Miss Jessies Haus geworden ist, aus dem Meisterstück meines Vaters? Rat mal, wo’s geblieben ist?«
»Du sagst >geblieben ist<, daher nehme ich an, es wurde abgerissen?«
»Nicht nur abgerissen«, sagte Mona. »Sie haben sogar den Berg planiert. Und heute steht auf dem Grundstück ein A and P mit einem großen, flachen Parkplatz drumherum.«
»Mein Gott«, sagte ich.
»Ich bin nur froh, daß keiner von beiden lange genug gelebt hat, um auch nur zu argwöhnen, daß Rhinecliff zu so einer lausigen Sache fähig sein könnte.«
Sie drehte sich um und sah mich wieder an. Und ich konnte sehen, daß sie sich erinnert hatte, wie früher alles gewesen war - durch ein Prisma aus Tränen. Sie sagte: »Jetzt weißt du schon eine ganze Menge über mich.«
Ich sagte, ich sei stolz darauf, etwas über Mona Morgan aus Rhinecliff zu wissen, und über Sam und Miss Jessie. Und es lag ein sehr junger und flatternder Ton in ihrer Stimme, als sie nun sagte: »Tja... wieso schaust du dich nicht einfach ein bißchen um, wenn du magst, und ich mache uns inzwischen einen Tee?«
Ich sagte, ich hätte nichts dagegen.
Auf der niedrigeren Schreibfläche des secrétaire stand eine Leselampe. Ihr Fuß war ein dreißig Zentimeter hohes Bildnis von Mars, dem römischen Gott des Krieges. Ich griff unter den grauen Stoffschirm, schaltete sie ein und bemerkte ein Telefon.
In Richtung der Küche sagte ich: »Hättest du was dagegen, wenn ich mal kurz telefoniere?«
»Sicher, ist schon okay, solange du keine andere Frau anrufst.« Monas Stimme vermischte sich mit den Geräuschen klirrenden Porzellans und laufenden Wassers.
Ich rief Waterman junior an und legte auf, als ich die vertrauten Töne seines Anrufbeantworters hörte. Dann ging ich zum Diwan in der Mitte des Wohnzimmers, ließ mich darauf nieder und war dankbar für seine weiche Bequemlichkeit. Und auch dankbar für die Kerze, die so angenehm duftend neben mir brannte; für den plötzlichen Anblick von Mona, die barfuß aus der Küche einen kleinen Flur hinunter ins Schlafzimmer huschte.
Wenige Minuten später war sie zurück im Wohnzimmer und stand im sanften Licht des Kronleuchters vor mir. Sie trug ein weit geschnittenes blaues Kleid, das ihr schwarzes Haar nur noch schwärzer erscheinen
Weitere Kostenlose Bücher