Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
zu entkräften. An einer Stelle der Rede illustriert er die Entfremdung sogar selbst, „an dieser Stelle fehlt der Beifall“, ruft er den Genossinnen und Genossen zu.
Einmal mehr geriert er sich als politischer Martin Luther: „Hier stehe ich und kann nicht anders.“
Helmut Schmidt bleibt sich auch nach seiner Kanzlerzeit treu. Mister Klartext redet und schreibt fortan „frei Schnauze“.
Nach der deutschen Vereinigung, Anfang der neunziger Jahre, schreibt er Klartext über die wirtschaftliche Last, die mit der Vereinigung einhergehen werde. Helmut Schmidt kündigt den Bürgern in den alten Bundesländern an, dass ihr Wohlstand ein paar Jahre ohne Wachstum bleiben wird, und bittet die Deutschen in den neuen Ländern um Geduld. So schnell, wie sich Letztere es wünschten, werde der Wohlstand nicht nach Ostdeutschlandkommen. Vielmehr werde es, so Schmidt sinngemäß, viele Jahre dauern, bis die politische Einheit auch wirtschaftlich vollzogen sei, bis es gleiche Löhne und gleichen Lebensstandard für alle gebe.
In der Rückschau erscheint diese Feststellung als selbstverständlich. Doch zu der Zeit, als Helmut Schmidt sein Buch „Handeln für Deutschland“ mit dieser Botschaft vorlegte, galt diese Feststellung als nicht opportun. Die Politik wollte die Westdeutschen nicht verschrecken und die Ostdeutschen nicht resignativ stimmen.
Später macht Helmut Schmidt mit einem Interview Furore, das er ausgerechnet einer Zeitung in Ostdeutschland, der „Sächsischen Zeitung“, gibt. „Es wird über manches geklagt, was nicht beklagenswert ist“, hält er den Menschen in den neuen Ländern vor. So seien die Renten im Osten real zum Teil höher als die in Westdeutschland. Trotzdem klagten viele über ihre Altersbezüge. „Das finde ich zum Kotzen“, sagt Helmut Schmidt wörtlich. Kein Zweifel, mit zunehmendem Alter scheut er vor drastischen Formulierungen noch seltener zurück.
Im selben Interview schlägt Helmut Schmidt vor, in den neuen Bundesländern für die Dauer von zwanzig Jahren einige Bundesgesetze und Paragrafen – etwa Regelungen im Betriebsverfassungsgesetz und im Tarifgesetz – auf Eis zu legen. Den ostdeutschen Ländern soll dafür wegen ihrer besonderen Situation selbst die Zuständigkeit gewährt werden. Praktisch hätte dies ein „Deutschland der zwei Geschwindigkeiten“ bedeutet. Das Land wäre auf diese Weise wieder geteilt gewesen. Aber ist es nicht ohnehin – durch die unterschiedliche Geschichte – noch lange geteilt? Helmut Schmidt packt das heikle Thema an und macht einen heiklen Vorschlag.
Er lässt bei seinen Klartext-Statements kein politisches Feld aus. Das gibt seinen Statements etwas thematisch Beliebiges, sorgt aber auch häufig, weil auf den Augenblick bezogen, für politische Brisanz. Die durchgängige Linie seiner Positionen wird erst über einen längeren Zeitraum hin – aber dann zweifelsfrei – sichtbar.
In einem „Spiegel“-Gespräch 2003 beschwert sich Helmut Schmidt darüber, dass deutsche Außenminister zu viel „herumreisen“.Die Umtriebigkeit sei nicht zuletzt auch dazu bestimmt, „dass das eigene Fernsehpublikum sehen soll, wie wichtig seine Politiker sind“. Wer außer Helmut Schmidt spricht, was viele denken, woran aber niemand zu rütteln wagt, so ungeschönt aus?
2004 führt der Journalist Roger de Weck ein Gespräch mit Helmut Schmidt, das im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ erscheint. Den Titel dieser Magazin-Ausgabe ziert eine Schmidtbüste von Kurt Arentz, eine Hommage an Helmut Schmidt als das „Denkmal der deutschen Politik“. Bereits in diesem Interview kritisiert Schmidt, dass sich „einige Bankenchefs von der patriotischen Verantwortung entfremdet“ hätten. Es gehe so weit, dass sich ein Regierungschef nicht länger auf die großen, für die Wirtschaft relevanten Unternehmen seines Landes verlassen könne. „Ob im Notfall ein Kanzler die Hilfe der Deutschen Bank bekäme?“ Er stellt diese Frage als rhetorische Frage, um sie aber im weiteren Kontext klar zu verneinen. Welcher aktive Politiker hat dieses so wichtige Thema so früh in den Blick genommen? Drei Jahre später, 2007, wird Helmut Schmidt in einem „Zeit“-Beitrag auf die Gefahr der bald darauf eingetretenen Weltfinanzkrise hinweisen. „Beaufsichtigt die neuen Großspekulanten!“, ruft er seinen Leserinnen und Lesern zu. Seine Analyse erwies sich als treffend.
2005 veröffentlicht er in der „Zeit“ einen Artikel über Karol Wojtyla, den späteren Papst
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