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Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt

Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt

Titel: Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herder
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– nur wenige Politikerinnen und Politiker seiner Zeit hätten das Krisenmanagement im Terror-Herbst 1977 so besonnen bewältigt wie er. Nach dem Fehler im Entführungsfall Peter Lorenz – der Staat hatte Terroristen freigelassen, die dann erneut Straftaten verübten – stand für Helmut Schmidt schon in der Stunde, als er von Hanns Martin Schleyers Entführung erfuhr, fest: Diesmal kommen keine Terroristen frei! Er blieb auch dabei, als palästinensische Terroristen ein Lufthansaflugzeug entführten und die Maschine zu sprengen drohten. Ein anderer Amtsinhaber als Helmut Schmidt hätte während dieser dramatischen Zuspitzung der Ereignisse möglicherweise nachgegeben. Oder er wäre von der hitzigen öffentlichen Debatte während jener Wochen, in denen die Vorschläge von der Freilassung der Terroristen bis zu ihrer standrechtlichen Erschießung reichten, erfasst worden. Bei einer Freilassung der Terroristen wären die Geiseln im Flugzeug ohne einen Polizeieinsatz gerettet worden, und auch Hanns Martin Schleyer hätte seine Entführung überlebt. Doch von dem Tag an, als Andreas Baader, Gudrun Ensslin und die anderen Terroristen und Terroristinnen aus der Haft gekommen wären, hätte sich die Republik als erpressbar erwiesen. Eine solche Situation wollte der Bundeskanzler keinesfalls verantworten, weder für sich noch für seine Nachfolger im Amt.
    Helmut Schmidts Beharren auf dem einmal für richtig Befundenen wurde für ihn außerhalb der Krisenzeiten zum Problem und zuletzt zum Verhängnis. Von seinem gestörten Verhältnis zur 68er-Bewegung, die in derselben Partei wie Helmut Schmidt ihre politische Heimat finden wollte, war schon die Rede. Später stellte sich Helmut Schmidt gegen einen neuen Geist der Zeit, die Anti-Atomkraftbewegung, mit der das Aufkommen der Umweltbewegung einherging.
    Helmut Schmidts Denken ist geprägt von der Technikgläubigkeit der fünfziger und sechziger Jahre. Als er Bundeskanzler war, stand diese Technikgläubigkeit noch hoch im Kurs. Doch sein Kampf gegen einen neuen Zeitgeist wurde zusehends verlustreicher. Das Fernsehen übertrug die Bilder der Schlachten zwischen Polizei und Demonstranten in Brokdorf, Wyhl und an der Startbahn West des Frankfurter Flughafens und führte die Gewalt dieser Auseinandersetzungen auch den Zuschauern und Zuschauerinnen auf dem heimischen Sofa vor Augen. Noch einmal bezog Helmut Schmidt seine Popularität quer durch alle Wählerschichten aus seiner Geradlinigkeit und Konsequenz. Es sollte das letzte Mal sein.
    Bei seinem folgenden Kampf wider den Zeitgeist verhob er sich. Kein Zweifel, der überwiegenden Mehrheit der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre war es gleichgültig, wie viele Atomwaffen in Westdeutschland standen. Angesichts der massiven Überrüstung in Mitteleuropa kam es auf die Mittelstreckenwaffen, die Helmut Schmidt für Mitteleuropa gefordert und bekommen hatte, nicht mehr an. Die Bundesdeutschen führten ein privates, unpolitisches Leben im Schatten des Kalten Krieges.
    Helmut Schmidt, Rebell gegen den Zeitgeist, wäre mit seiner Politik noch einmal durchgekommen, hätten sich nicht frühere Bewegungen zu einer gemeinsamen (Ziel: Verhinderung neuer Atomwaffen in Westeuropa) zusammengetan. Weitere Faktoren kamen hinzu: Die sogenannte Friedensbewegung verdankte ihr Erstarken zu einem nicht geringen Teil einer effizienten Mitarbeit des DDR-Staatssicherheitsdienstes, kurz Stasi. Forschungen nach1989 ergaben, dass wichtige Kommuniqués über Stasi-Spitzel in die Anti-Atom-Bewegung eingespeist wurden.
    Dass Helmut Schmidt diesen heftigsten Kampf gegen einen Zeitgeist verlor, lag aber auch an der schwindenden Unterstützung für seine Politik in der eigenen Partei. Abgesehen von triftigen Argumenten, die man gegen den NATO-Doppelbeschluss ins Feld führen konnte, bekam der Bundeskanzler jetzt die Quittung für Verletzungen, die er zuvor Genossen wie Willy Brandt, Erhard Eppler oder Egon Bahr zugefügt hatte. Helmut Schmidt hat seiner Partei, indem er 1974 Nachfolger von Willy Brandt wurde, bei der Bundestagswahl 1976 die Kanzlerschaft gerettet – aber als neuer Regierungschef auch sozialdemokratische Politik-Konzepte verworfen und Karrieren von Spitzenpolitikern wie Egon Bahr und Erhard Eppler gebremst. Die „Gegenreformation“ setzte spät, aber umso massiver ein. Weshalb soll es in der Politik nach Verwerfungen anders zugehen als in einem Unternehmen, einer Behörde oder einem kleinen

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