Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
noch ein eigenes Thema sein).
Helmut Schmidt selbst mag die zeithistorische Einordnung seiner Kanzlerschaft ignoriert haben. Er konnte jedoch erkennen, wenn er ehrlich vor sich selbst war, dass seine Kanzlerzeit nicht nur lichte Seiten gehabt, sondern auch Schatten geworfen hat. DasUrteil darüber, was überwog, hing auch vom parteipolitischen Standpunkt ab. Von dem Idealtypus eines Politikers, als der Helmut Schmidt fast 30 Jahre später erscheint, konnte seinerzeit keine Rede sein.
Nach seiner Abwahl als Bundeskanzler war Helmut Schmidt erst einmal weg – „weg vom Fenster“ der deutschen Politik, in der er bis zum 1. Oktober 1982 maßgebliche Ämter bekleidet hatte. Er stand mit der eigenen Partei über Kreuz und musste froh sein, dass sein Nachfolger im Kanzleramt, Helmut Kohl, seinen Kurs auf wichtigen Feldern fortsetzte – etwa den NATO-Doppelbeschluss vollzog. Das hielt Helmut Schmidt nicht davon ab, seinen Nachfolger bald nach Amtsantritt mit dem Diktum „Kohl bringt’s nicht“ zu belegen. Auch wenn er es nicht zugab und von einer Last sprach, die mit dem Amtswechsel von ihm abgefallen sei, ging ihm die Art und Weise seines Abgangs an die Nieren. In brüsken Statements über seinen Nachfolger kamen seine Emotionen durch.
Ein Jahr nach seiner Abwahl muss Helmut Schmidt im „Spiegel“ lesen, er sei aufs politische Altenteil geschoben worden. „Er hat nicht mehr das Sagen. Er wird Vergangenheit.“ Er ist jetzt ein Politiker, der für zurückliegende Verdienste Ehrungen erfährt. Allein im ersten Jahr als Altbundeskanzler lässt er sich honoris causa drei Doktorhüte aufsetzen, in Hamburg zum Ehrensenator und in Bonn und Bremerhaven zum Ehrenbürger ernennen.
Helmut Schmidt hat in der Bundespolitik – vorerst – keine Plattform mehr, und so geht er dorthin, wo ihm Aufmerksamkeit, ja Verehrung sicher ist: Er reist rund um den Globus, um politische Gespräche zu führen und Vorträge zu halten.
Helmut Schmidt ist jetzt, zitiert der „Spiegel“ einen politischen Beobachter, der „Dr. Kimble der SPD“. Richard Kimble, Protagonist einer damals populären US-Krimiserie, steht im Verdacht, seine Frau ermordet zu haben. Er taucht unter, um den wahren Mörder zu finden. Auch Helmut Schmidt ist, so soll der Vergleich zeigen, ständig auf der Flucht: vor seinen ihm fremd gewordenen Parteifreunden und vor den Deutschen, die 1983 mehrheitlich eine unionsliberale Bundesregierung gewählt haben.
Er will nicht miterleben, wie die SPD seine bisherige Politik, vor allem seine Sicherheitspolitik, geradezu konterkariert und wie die „Interessenpartei“ FDP weiter Regierungsverantwortung trägt. Die eigenen Genossen müsste er ebenso heftig kritisieren wie Vertreter der neuen Bundesregierung, doch aus Parteiloyalität hält er sich zurück.
Anfang der neunziger Jahre ist das Bild von Helmut Schmidt, wie es in die Zeitgeschichte eingehen soll, fertig gezeichnet. Einer der intellektuell besten Köpfe in der SPD, der zeitweilige Bundesgeschäftsführer Peter Glotz, ordnet Schmidts Lebensleistung in einen weiteren Zusammenhang ein. Sein Beitrag in der „Woche“ dokumentiert die Bewertung des Altkanzlers kurz vor der Zeit, da Helmut Schmidt zur Kultfigur wurde.
Peter Glotz attestiert Helmut Schmidt, in der deutschen politischen Kultur von „störender Offenheit“ gewesen zu sein. Das bezog sich auf den Klartext-Politiker Schmidt. In der Praxis wurde Helmut Schmidt, so Glotz, zum „Katastrophen-Spezialisten“: Er bewährte sich in der Hamburger Sturmflut 1962 oder im Terror-Herbst 1977. „Wenn es dramatisch wurde“, so Peter Glotz, „verstand es der Polemiker Schmidt, den innenpolitischen Gegner klug einzubinden.“ Er hätte ergänzen können: und die meisten Westdeutschen mitzunehmen.
Zugleich konstatiert Peter Glotz, Schmidts Begabung zur großen Symbolik sei begrenzt gewesen, eine Ikone der Deutschen sei er nicht geworden. Charles de Gaulle und Konrad Adenauer fanden zusammen in der Kathedrale von Reims, Willy Brandt machte den historischen Kniefall in Warschau – von Helmut Schmidt geht kein vergleichbares Bild in die Geschichte ein.
Hier klingt bei Peter Glotz an, was viele Autoren über Helmut Schmidt schreiben: Er regierte das Land zu einer Zeit, als keine historische Weichenstellung möglich war. Konrad Adenauer hatte die Westbindung der jungen Bundesrepublik betrieben, Willy Brandt die deutschen Grenzen von 1945 anerkannt. Jahre später nutzte Helmut Kohl ein kurzes Zeitfenster, um die
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