Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
Arbeit und lebt mit der Familie auf winzigem Raum. Weil die Mutter arbeitet, muss Loki auf ihre jüngeren Geschwister aufpassen. Als Belohnung bekommt sie spätabends vom Vater eine Zigarette zugesteckt.
Auf diese materielle Notzeit folgt der Krieg, ein Leben im Ausnahmezustand. Auch die innere Not, in einer moralisch verheerten Zeit zu leben, wächst. Loki und Helmut lassen sich, obwohl keine gläubigen Christen, 1942 kirchlich trauen, um ein Zeichen zu setzen. Die Kirche erscheint ihnen als einzige Instanz, die in diesem Staat noch nicht diskreditiert ist.
Nach dem Krieg arbeitet Loki als Lehrerin, ihr Mann kann dank ihres Einkommens studieren. Helmut Schmidt bringt zusätzliches Geld in die Haushaltskasse, indem er für andere Leute die Steuererklärung macht. Die zwei haben die einfachen Verhältnisse, aus denen sie stammen, und die schwierigen vierziger und fünfziger Jahre nie verheimlicht.
Das Rauchen war bei Loki Schmidt aber nicht nur ein Relikt aus frühen Tagen. Sie raucht auch schon zu einer Zeit selbstbewusst in der Öffentlichkeit, als das für eine Frau nicht selbstverständlich ist. Das Rauchen war ja ursprünglich Männerdomäne – in Wohnungen oder Häusern wohlhabender Familien gab es ein „Raucherzimmer“, in dem die Herren nach einer Mahlzeit Platz nahmen und sich bei einem guten Glas Whisky Zigaretten oder Zigarren ansteckten.
Loki und Helmut Schmidt haben sich Ostern 1929, als Zehnjährige, bei der Aufnahme in das Gymnasium kennengelernt. Das war vor 82 Jahren. Loki nahm am ersten Kindergeburtstag ihres späteren Mannes teil. „Meine Frau und ich“, sagt Helmut Schmidt einmal zu Giovanni di Lorenzo, „waren ja in derselben Klasse, wir hatten eine ähnliche Handschrift, und es ist vorgekommen, dass Loki meine Hausaufgaben in mein Heft geschrieben hat, zum Beispiel in Mathematik, da war sie besser.“
1935 kommt es auf einer Bank im Stadtpark zu ersten Küssen. Er leistet seinen Militärdienst ab und geht an die Front. Die zwei verlieren sich aus den Augen, doch in der wirren Kriegszeit möchte er eine private Perspektive entwickeln und erinnert sich an sie. Sie willigt in die Ehe ein. Die zwei sind 68 Jahre verheiratet.
In beispielloser, zugleich beispielgebender Offenheit hat Loki Schmidt diese Lebensverbindung charakterisiert. Sie seien nie ineinander verliebt gewesen – und die große Liebe war es doch. „Verliebt sein ist wie ein Feuer aus Reisig und Stroh“, sagt Loki Schmidt Jahrzehnte später, „Dreck und Not und Kummer, wie unsere Generation sie erlebt hat, verbinden mehr.“
Die Schmidts wünschen sich eine große Familie. „Wenn es nach meiner Frau und nach mir gegangen wäre, hätten wir vielleicht fünf Kinder gehabt, jedenfalls mindestens drei.“ Loki bekommt eine Tochter und einen Sohn, der im Kindesalter stirbt. Danach hatte sie mehrere Fehlgeburten. Sie berichtete im Alter selbst davon, sonst wäre es nicht bekannt und würde nicht erwähnt.
Was wie eine Bilderbuch-Ehe erscheint, war keine. Helmut Schmidt, ein attraktiver, prominenter, mit politischer Macht ausgestatteter Mann wollte nicht jeder Verlockung widerstehen. Sogar der ehemalige Mitarbeiter und Biograf von Helmut Schmidt, Hartmut Soell, konnte über das heikle Thema nicht hinweggehen. Helmut Schmidt habe „nicht immer und in gleichbleibender Intensität“ gewusst, was er an Loki hatte, schreibt er dunkel. Auch an ihm seien „Versuchungen und die Krisen ‚in der Mitte des Lebens‘“ nicht vorbeigegangen. Helmut Schmidt selbst gab im hohen Alter den Hinweis, dass die Ehe dank des Langmuts seinerFrau Bestand hatte – und nicht, muss man wohl ergänzen, weil beide Partner einander immer treu waren.
Über den ganz privaten Generationenkonflikt zwischen Helmut Schmidt und seiner Tochter Susanne ist wenig bekannt. Helmut Schmidt war ein nicht anwesender Vater. Seine Tochter Susanne hatte wenig an ihm. „Wenn er fort war, durfte sie in der Regel in seinem Bett schlafen“, hat Loki Schmidt erzählt, aber was kann das schon ersetzen? Helmut Schmidt hatte nicht genug Zeit, das eigene Kind mit zu erziehen. Dieses Versäumnis scheint er abgespalten zu haben. Im Gespräch mit Giovanni di Lorenzo Jahrzehnte später führt er „eine schwierige Phase“ zwischen seiner Tochter und ihm darauf zurück, seine Tochter habe in Hamburg und darauf in einer anderen Universitätsstadt gelebt, er aber in Bonn. „Das heißt, es gab ein Familienleben nur an jedem zweiten Wochenende.“ Warum eigentlich?
Helmut
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