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Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt

Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt

Titel: Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herder
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Rundfunk in Deutschland, schleichend ein Ende. Die Konkurrenz um „good news“ wurde größer, das Geschäft härter. Die neue Zeit fegte Komments zwischen Politikern und Journalisten hinweg wie das sprichwörtliche Blatt im Wind.
    Hinzu kommt, dass sich seit den siebziger Jahren die Geschlechterrollen in einem positiven Sinn gewandelt haben. Frauen nehmen es immer seltener schicksalsergeben hin, dass ihr Mann fremdgeht. Sie trennen sich in einem solchen Fall, weil sie dank eines Berufes materiell unabhängig sind. Aus diesen Gründen machen auch Politikerfrauen nicht mehr alles mit.
    Als die 68er-Bewegung mit der Regierung Schröder Ende der neunziger Jahre an die Macht kommt, ebnet sie die besonderen Moralaufforderungen, die an Spitzenpolitiker gerichtet werden, vollends ein. Schon 1996, nach der Trennung von seiner Frau Hiltrud, hatte Gerhard Schröder in einem „Spiegel“-Gespräch erklärt:„Meine Privatangelegenheit, das ist das eine, und davon unberührt sind meine Arbeit und mein politisches Engagement.“ Politiker sollen, so Schröders Diktum, an dem gemessen werden, wofür sie gewählt sind, „Vorbilder für die private Lebensführung sind sie gewiss nicht.“
    Die Lebensführung von Politikerinnen und Politikern wird seither nicht mehr anders bewertet als die von nicht-prominenten Bürgerinnen und Bürgern – mit guten und mit schlechten Folgen. Es spielt zum Glück keine Rolle mehr, ob eine Politikerin auf Männer oder auf Frauen steht und ein Politiker auf Frauen oder auf Männer. Doch seither kann auch ein Mann bayerischer Ministerpräsident werden und bleiben, dessen Ehebruch, manifestiert durch eine Vaterschaft, so gar nicht zum Image des treuen Ehemanns passt, das er zu seiner politischen Selbstdarstellung gezeichnet hat. Wird Horst Seehofer eigentlich immer noch vom Papst empfangen? Mitglieder der katholischen Kirche hätten Grund, sich darüber zu empören.
    Und ein weiteres Tabu ist gefallen: beim Altersunterschied zwischen Politikerinnen und ihrem neuen Partner (oder Partnerin) beziehungsweise bei Politikern mit ihrer neuen Partnerin (oder ihrem Partner). Als Willy Brandt Brigitte Seebacher kennen- und lieben lernte, brach ein Sturm der Entrüstung los – nicht nur, weil Rut Brandt die „Kanzlerfrau der Herzen“ blieb, sondern weil die Neue so viel jünger war. Es wurde heftig gelästert, am meisten von Willy Brandts „Parteifreunden“ selbst (gemäß der bekannten Steigerungsformel Freund – Feind – Parteifreund). Als Franz Müntefering Jahrzehnte später seine Beziehung mit einer viel Jüngeren öffentlich machte, gab es allenfalls noch ein Gemurmel. Man dachte sich „seinen Teil“, aber mehr auch nicht, zumal Franz Müntefering sich zuvor eine „Auszeit“ von der Politik genommen hatte, um für seine krebskranke Frau zu sorgen.
    Für die private Lebensführung von Spitzenpolitikern wie Gerhard Schröder oder Oskar Lafontaine hat Helmut Schmidt nur ein Kopfschütteln übrig. Sie sind, ist er überzeugt, der Würde ihrer Ämter nicht mehr gerecht geworden. Doch hinter die nivellierte Politikermoral, die ein 68er wie Gerhard Schröder in seinerKanzlerzeit durchgesetzt hat, kehrt das Land nicht mehr zurück. Die Angehörigen der „Politikergeneration Schröder“ waren die Ersten, die ihre eigenen privaten Maßstäbe herunterschraubten. Sie wollten ihr Privatleben nicht strenger bewertet sehen als das der Bürgerinnen und Bürger, die von ihnen regiert wurden. Das wurde akzeptiert. Der Toleranzspiegel dieser Gesellschaft ist weiter gestiegen. Nicht nur in den Beziehungen und Ehen der Bürgerinnen und Bürger, auch in denen ihrer politischen Klasse darf es öffentlicher denn je drunter und drüber gehen.
    Nur noch selten, bei besonders anrührenden Nachrichten, schimmert etwas von den alten Idealen durch, die zwar nur noch von den wenigsten gelebt, aber von den meisten mit nostalgischen Gefühlen belegt werden. Dann wird wieder für einen Augenblick bewusst, dass die Ehe einmal als von einer höheren Macht geschlossen galt.
    Als Frank-Walter Steinmeier, der frühere SPD-Kanzlerkandidat und aktuelle Fraktionsvorsitzende seiner Partei im Bundestag, 2010 eine „Auszeit“ nahm, um seiner Ehefrau Elke eine Niere zu spenden, war die Anteilnahme deutschlandweit groß. „Was in anderen Milieus als selbstverständlich gelten würde, geriet im Fall des Politikers Steinmeier zu einer mittleren Sensation“, schrieb der „Spiegel“ treffend. Die doppelte Operation der Steinmeiers

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