Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
zweite Frau“ stoßen, wenn es um Führungspolitiker geht, immer noch unangenehm auf. Aber sie wissen auch, dass die Angehörigen der politischen Klasse keine besseren Menschen sind. Und dass die Bindung an eine Partei, die das Wort „christlich“ in ihrem Namen trägt, keine besseren Christen macht. So finden sie sich nicht nur bei sich selbst, sondern auch beim politischen Führungspersonal mit den neuen Zeiten ab und haben kein wirkliches Problem mehr damit, dass Ministerpräsidenten, Bundeskanzler und sogar Bundespräsidenten geschieden wurden und neu verheiratet sind.
Es wirkte wie ein unzeitgemäßer nacheilender Gehorsam, dass Familienministerin Kristina Schröder kurz nach ihrer Berufung in das Amt ihren bisherigen Lebensabschnittspartner geheiratet hat. Bei der kunterbunten Ehe- und Familienbiografie ihrer Kabinettskolleginnen und -kollegen wäre das nicht nötig gewesen. Ach, vielleicht doch, sie steht ja dem Familienministerium vor. „Familie“ hat auch heute noch etwas mit „Ehe“ zu tun.
Die Deutschen werden schon seit einigen Jahren auf die Einsicht vorbereitet, dass sogar Führungspolitiker und -politikerinnen fremdgehen oder ihren Partner, ihre Partnerin verlassen. Das medienwirksame Paar Hiltrud und Gerhard Schröder brach auseinander, Gerhard trennte sich von „Hillu“ und sorgte gleich darauf mit einem „Spiegel“-Gespräch für eine offizielle Sprachregelung. Jutta Scharping wurde von ihrem Mann Rudolf verlassen, was die Deutschen akzeptierten – erst die Fotos, die ihn und seine neue Liebe im Swimmingpool zeigten, kosteten ihn politisch den Kopf. Christiane Wulff verlor ihren Mann Christian an eine andere, viel Jüngere. Karin Seehofer, die Gattin des bayerischen Ministerpräsidenten, wurde von ihrem Mann betrogen, was mit der Schwangerschaft seiner viel jüngeren Freundin nicht mehr zu leugnen war. Die Deutschen mögen ein schales Gefühl über derlei Nachrichten empfinden – der politischen Karriere schadet ein Partnerwechsel nicht. Horst Seehofer konnte – ausgerechnet im katholischen Bayern – Ministerpräsident werden und Christian Wulff Bundespräsident.
Der mehrfach verheiratete und geschiedene Gerhard Schröder wurde bekanntlich Bundeskanzler und der mehrfach verheiratete und geschiedene Joschka Fischer Außenminister. Helmut Schmidt hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er die Heiratsund Scheidungsbiografie eines seiner Amtsvorgänger, Willy Brandt, und des nächsten SPD-Kanzlers nach ihm als moralischen Frevel empfand. Mir gegenüber hat er sein Unverständnis darüber ausgedrückt, dass Willy Brandt mehrfach geheiratet hat.
Man mag Helmut Schmidt vorhalten, er selbst habe, als er zeitweise nicht jeder Verlockung widerstehen konnte, eine doppelte Moral gelebt. Seine Kritik an Willy Brandt und Gerhard Schröder disqualifiziert allerdings nicht die „private“ Moral der beiden, sondern die des Amtsträgers. Ein Bundeskanzler, gleichgültig, ob er das Amt noch ausübt oder schon abgegeben hat, lässt sich nicht scheiden! Er gibt damit ein Vorbild im schlechten Sinne. Er beschädigt das Amt, dem eine besondere Würde innewohnt, und er beschädigt die demokratische Kultur. Willy Brandt musste einmal öffentlich einräumen: „Ich bin kein Säulenheiliger.“Helmut Schmidt war froh, dass zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Willy Brandt, sondern er selbst Bundeskanzler war.
Helmut Schmidt mochte nicht immer gewusst haben, was er an Loki hatte. Dass er Willy Brandt bis heute übel nimmt, wie er sich in seiner Zeit als Bundeskanzler und auch danach verhalten hat, drückt indirekt aus: Ich, Helmut Schmidt, habe mich in meiner Zeit als Bundeskanzler anders verhalten. Ich habe mich korrekt verhalten.
Politikerinnen und Politiker waren früher genauso gute oder schlechte Menschen wie heute, sie lebten jedoch in einem anderen Korsett von Anstand und Moral. Sie gingen fremd, aber das durfte nicht bekannt werden. Deshalb gab es die stillschweigende Übereinkunft, dass Journalisten nicht über das Privatleben von Politikern berichten. Die meisten haben gewusst, was bei Willy Brandt und Co. läuft, aber keiner hat es „an die große Glocke gehängt“. Ohne die Guillaume-Affäre wäre auch über das Privatleben von Willy Brandt Schweigen bewahrt worden. Doch als ein DDR-Spion in seinem direkten Umfeld enttarnt wurde, ließ sich die „Nachrichtensperre“ nicht mehr aufrechterhalten.
Diese „Nachrichtensperre“ nahm seit Anfang der achtziger Jahre, mit dem Aufkommen von privatem
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