Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
Hartmut Soell es formulierte, „der zweiten Demokratie in Deutschland Dauer zu verleihen. Dieses Ziel band letztlich alle drei unwiderruflich aneinander.“
Anders formuliert: Keiner auf der Troika hat mit einem der anderen den offenen Machtkampf gesucht. Es gab immer eine letzte Beißhemmung. Keiner hat einen anderen „hinausgekickt“. Keiner ist einfach vom Wagen gesprungen. Jeder hat den jeweils ihm zugewiesenen Platz – freilich zähneknirschend und unter bisweilen unüberhörbarem Verdruss – akzeptiert.
Die Mitglieder der nachfolgenden SPD-Troika – Oskar Lafontaine, Rudolf Scharping und Gerhard Schröder – hat biografisch nichts mehr zusammengeschweißt. Sie gehören schon einer Generation an, die in ihrer Jugend vielleicht nicht unbedingt schöne Erfahrungen gemacht hat, aber auch keiner existenziellen Bedrohung mehr ausgesetzt war. Wo bei Wehner, Brandt und Schmidt ein gegenseitiges Verständnis herrschte, gab es bei Lafontaine, Scharping und Schröder nur Missgunst.
Diese Drei hatten einander nichts zu verdanken. Sie haben über ihre jeweiligen Landesverbände Parteikarriere gemacht und jeweils „ihre“ Bundesländer regiert. Auf Bundesebene begegneten sie einander nicht als Weggefährten, sondern als Rivalen.
Kein Wunder, dass keiner dieser drei den ihm jeweils zugeteilten Platz akzeptieren wollte. Oskar Lafontaine hat seine Ambitionen auf eine Kanzlerschaft nach seiner Wahlniederlage 1990 nicht aufgegeben. Gerhard Schröder schob die eigenen nur auf, nachdem nicht er, sondern Rudolf Scharping 1994 von der Partei zum Kanzlerkandidaten gekürt worden war.
Ein Wahlkampffilm von 1994 zeigt die drei beim Spaziergang. Vergnügt und siegesbewusst schlendern sie – Rudolf Scharping, der Kanzlerkandidat, in der Mitte – nebeneinander her. So viel politische Heuchelei war nie.
Wie wenig diese Troika mit der vorherigen gemein hatte, zeigten die Umstände ihres Bruches während Gerhard Schröders Kanzlerschaft. Zunächst verlor Oskar Lafontaine im stillen Krieg mit Gerhard Schröder die Nerven und sprang einfach vom fahrenden Wagen. Später stellte sich der offensichtlich ebenfalls genervte Rudolf Scharping so dämlich an, dass der Übriggebliebene auf dem Dreigespann, Gerhard Schröder, vor Journalisten nur wenige Minuten brauchte, um Scharpings Rücktritt als Verteidigungsminister anzunehmen.
Für Akteure im tagespolitischen Geschäft spielen historische Zusammenhänge keine Rolle (Helmut Kohl ist die Ausnahme). Hätte Gerhard Schröder, als Oskar Lafontaine den Parteivorsitz zurückgab, besser nicht danach greifen sollen? Sein Zugriff war machtpolitisch verständlich, eine große Verlockung, aber zugleich ein schwerer strategischer Fehler. Gerhard Schröder war genauso wenig ein glaubwürdiger, weil nicht authentischer SPD-Vorsitzender, wie es ein Helmut Schmidt in diesem Amt geworden wäre.
Sollte Sigmar Gabriel die nach dem Wahldebakel von 2009 gebildete Troika – er als Parteivorsitzender, Frank-Walter Steinmeier als Fraktionsvorsitzender und Andrea Nahles als Generalsekretärin – akzeptieren? Sigmar Gabriel, das politische Alphatier, tut es nicht, auch er erliegt, wie schon Gerhard Schröder, der Versuchung zum Alleinherrschertum. Doch so klein auch die SPD geworden ist, von ihrer programmatischen Diskussionslust und ihrer Kakofonie in der politischen Debatte wird sie nie lassen. Sigmar Gabriel wird über sein autokratisches Führungsgebaren zu Fall kommen und die Partei weiter schwächen.
Die Zeiten, da drei Männer ein und derselben Partei – Herbert Wehner, Willy Brandt und Helmut Schmidt – des Wohl und Weh eines Landes bestimmen konnten, sind lange vorbei. In diesem Sinn ist das Machtgefüge, das Helmut Schmidt eine relativ lange Kanzlerschaft ermöglicht hat, ein Phänomen der Vergangenheit. Keinesfalls von gestern oder vorgestern ist allerdings die Persönlichkeit, die Helmut Schmidt darstellt, der Mister Klartext, Redner und Raucher wider den Zeitgeist. EigensinnigeKöpfe in hohen Positionen vermochten die Politik von jeher zu inspirieren.
Augenscheinlich sind auch die Zeiten vorbei, da Machtmenschen wie Gerhard Schröder oder Angela Merkel dauerhaft Erfolg haben können. Der triumphale Wahlsieger von 1998 regierte nicht einmal so lange wie Helmut Schmidt, obwohl seine Koalition über eine komfortable Mehrheit verfügte. Angela Merkel ist bekanntlich beim „ewigen“ Kanzler Helmut Kohl in die Schule gegangen, doch auch sie musste die Erfahrung machen, dass politischer
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