Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
dritten Anlauf als Kanzlerkandidat kommt er durch das Ziel.
In der neuen Koalition wird Helmut Schmidt Minister (zunächst für das Verteidigungs-, später für das „Super“-Ressort und schließlich nur für das Finanzressort). Herbert Wehner übernimmt den SPD-Fraktionsvorsitz. Willy Brandt gilt jetzt als der Mächtigste, gefolgt von Herbert Wehner und Helmut Schmidt.
Helmut Schmidt kommt zu der Überzeugung, das Amt des Bundeskanzlers besser ausfüllen zu können als jeder andere deutsche Politiker seiner Zeit, er hat ein klaren Blick auf Fehler, die der erste SPD-Bundeskanzler Willy Brandt in der Folgezeit macht. Willy Brandt erklärt zwar Helmut Schmidt zum „zweiten Mann“, doch nach Willy Brandts triumphalem Wahlsieg bei der Bundestagswahl 1972 – die SPD wird mit 45,8 Prozent erstmals stärkste Partei – sind Schmidts Chancen, einmal den „Stab“ von Brandt zu übernehmen, gleich Null. Willy Brandt wird, wenn nicht etwas Unvorhergesehenes passiert, 1976 noch einmal antreten und vielleicht 1978 oder 1980 amtsmüde sein – vorausgesetzt, die sozialliberale Koalition hält so lange und wird auch von der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler immer wieder bestätigt. Zugleich ist Willy Brandt der unangefochtene Vorsitzende seiner Partei (was sich endgültig darin zeigt, dass Helmut Schmidt, als er Kanzler wird, Willy Brandt das Amt nicht streitig macht, damals nicht und auch später nicht).
Mit der Enttarnung von Günther Guillaume, dem persönlichen Referenten von Willy Brandt, als DDR-Agent tritt die unvorhergesehene Situation ein. Die Kanzlerschaft ist nicht sofort „im Brunnen“, doch die Affäre bildet mit Details aus Brandts Privatleben, die jetzt ebenfalls hochgespült werden, eine giftige, für seine Kanzlerschaft schließlich tödliche Melange. Herbert Wehner hält Willy Brandt nicht aktiv vom Rücktritt ab. Nachdem Willy Brandt seine Entscheidung gefällt hat, muss es nach Wehners und Brandts Überzeugung „der Helmut“ machen.
Mit seinem Rücktritt rutscht Willy Brandt in der machtpolitischen Rangfolge auf der Troika von Platz eins auf Platz drei. Nebendie offizielle Kränkung, die Kanzlerschaft unter schmerzlichen Umständen verloren zu haben, tritt diese parteiinterne, interpersonelle Kränkung. Willy Brandt wird auf diesem Platz nicht bleiben. Herbert Wehner fällt schon wegen seines Altersleidens, das Anfang der achtziger Jahre einsetzt, zurück. Und Helmut Schmidt verliert seine Kanzlerschaft, weil die SPD – mit Willy Brandt als ihrem Vorsitzenden – seine Politik in wichtigen Fragen nicht mehr stützt.
Herbert Wehner hat Willy Brandt verachtet. Willy Brandt hat Herbert Wehner gehasst. Helmut Schmidt hat mit dem alternden Wehner Mitgefühl empfunden. Willy Brandt und Helmut Schmidt waren hingegen einander spinnefeind (auch wenn Helmut Schmidt bis heute nur von einer „wachsenden Distanz“ sprechen will, die er seit Ende der sechziger Jahre zu Willy Brandt empfunden habe).
Die Auseinandersetzung zwischen den dreien währte über den Tag von Helmut Schmidts Abwahl hinaus. Helmut Schmidt machte Willy Brandt bittere Vorwürfe, ihm als Bundeskanzler nicht den Rücken gestärkt zu haben. Als Herbert Wehner beerdigt wurde, blieb Willy Brandt fern. Nach dem Tod von Willy Brandt wirkte Helmut Schmidt, der Politiker im Unruhestand, geradezu befreit.
Und doch, die Troika fuhr auch nach dem Frühjahr 1974 weiter und sicherte der SPD immerhin noch achteinhalb Jahre lang die Regierungsverantwortung. Bei allen tragischen Elementen, die diesen Dreierbund kennzeichnen, haben sich alle Akteure lange, bis zum Ende der Regierung Schmidt, diszipliniert.
Woher kam diese Disziplin? Die drei Männer teilten biografische Erfahrungen, etwa eine von den Zeitumständen geprägte, verlorene Jugend. Alle haben auf ihre Weise mit diesen Zeitumständen und mit politischen Ideologien gehadert. Helmut Schmidt neidet zwar Willy Brandt bis heute, dass er als Exilant den Krieg quasi „nur von außen“ miterlebt hat, aber das Verhältnis von Helmut Schmidt zu Willy Brandt ist doch vielschichtiger. Alle drei hatten einander etwas zu verdanken. Willy Brandt und Helmut Schmidt verdankten Herbert Wehner ihren Aufstieg inder Partei. Herbert Wehner wiederum verdankte Willy Brandt und Helmut Schmidt seine lange Amtszeit in der Schlüsselrolle als Fraktionsvorsitzender.
Sie wussten, sie waren um des politischen Erfolges willen aufeinander angewiesen. Bei aller Enttäuschung gab es den übergeordneten Willen, wie
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