Helter Skelter - Der Mordrausch des Charles Manson
dass unser Atem nicht einmal so weit reichen würde. Newsweek zitierte einen nicht genannten Mitarbeiter der Bezirksstaatsanwaltschaft mit der Bemerkung, die Anklage gegen Manson sei so blutleer, dass sie sich bereits in nichts auflösen würde, bevor es überhaupt zum Prozess komme.
Derlei Gerede wie auch die landesweite Aufmerksamkeit, die jedem mit dem Fall betrauten Strafverteidiger gewiss war, erklärte vermutlich, weshalb Manson im Bezirksgefängnis Los Angeles so viel Besuch bekam. Wie es ein Hilfssheriff ausdrückte: »Wir kommen uns hier vor wie bei der Jahresversammlung der Anwaltskammer.« (Zwischen dem 11. Dezember 1969 und dem 21. Januar 1970 bekam Manson 237-mal Besuch, davon 139-mal von einem oder mehreren Anwälten.) Unter den ersten Anwälten, die ihn aufsuchten, waren Ira Reiner, Daye Shinn und Ronald Hughes, die ich zu dieser Zeit alle noch nicht kannte, was sich allerdings im Lauf des Prozesses ändern sollte.
Die Gerüchte breiteten sich wie Bakterien aus. Eines besagte, Caballero habe vor Inkrafttreten der Knebelverfügung Atkins ’ Geschichte an ein europäisches Pressesyndikat verkauft, und zwar unter der Auflage, dass sie in den USA erst veröffentlicht werden dürfe, nachdem das Beratungsprotokoll des Großen Geschworenengerichts öffentlich zugänglich gemacht worden sei. Falls das stimmte, bezweifelte ich ernsthaft, dass amerikanische Zeitungen sich an eine solche Vereinbarung halten würden. Es würde unweigerlich undichte Stellen geben.
14. Dezember 1969
Ich brauchte nicht erst nach einem Zeitungsstand zu suchen, der ausländische Blätter verkaufte. Als ich am Sonntagmorgen aufstand, musste ich nur zur Haustür gehen und mich nach der Los Angeles Times bücken.
»Susan Atkins ’ Enthüllungen über zwei Mordnächte«
Der Artikel füllte fast drei Seiten. Auch wenn das Ganze deutlich redigiert und umgeschrieben war und zusätzliches Material über ihre Kindheit enthielt, war es im Prinzip dieselbe Geschichte, die Susan Atkins auf dem Tonband, das in Caballeros Büro aufgenommen worden war, erzählt hatte.
Erst im Prozess sollte dann die Geschichte hinter der Geschichte offenbar werden – wie die Morde wirklich passiert waren und wie die Geschichte an die Presse gekommen war. Das Folgende gibt die Zeugenaussagen vor Gericht wieder. Ich kann mich allerdings nicht für die Richtigkeit verbürgen, auch wenn es dem entspricht, was die Beteiligten unter Eid aussagten.
Vor der Knebelverfügung trat Lawrence Schiller, der sich als »Journalist und Kommunikator« von Hollywood bezeichnete, an Richard Caballero und seinen Sozius Paul Caruso heran und fragte nach, ob Interesse daran bestehe, Susan Atkins ’ in der Ich-Form verfassten Bericht über die beiden Mordnächte zu verkaufen. Nach Rücksprache mit Susan wurden eine Vereinbarung getroffen und ein Ghostwriter – der eigens dafür beurlaubte Reporter Jerry Cohen von der Los Angeles Times – angeheuert, um diese Erzählung zu schreiben. 44
Als Hauptquelle stützte sich Cohen auf das Tonband vom 1. Dezember. Er schrieb die Geschichte in zwei Tagen, an denen er sich in Schillers Haus in ein Zimmer einschloss. Um sicherzustellen, dass die Veröffentlichung exklusiv blieb, sorgte Schiller dafür, dass Cohen weder Kohlepapier noch Zugang zu einem Telefon hatte, und vernichtete alle Unterlagen außer der fertigen Fassung.
Laut ihrer späteren Aussage vor Gericht waren Caballero und Caruso davon ausgegangen, dass die Geschichte zunächst einmal nur in Europa erscheinen sollte, und zwar am Sonntag, dem 14. Dezember.
Angeblich machte Schiller am 12. Dezember drei Fotokopien von dem Manuskript: Eine wurde Caballero ausgehändigt, eine ging an den deutschen Redakteur, der die Rechte für seine Zeitschrift erworben hatte und den Text auf seinem Rückweg nach Deutschland übersetzte, und die dritte wurde per Sonderkurier zur Londoner News of the World geflogen, die für die englischen Exklusivrechte 40.000 Dollar bezahlt hatte. Schiller legte das Original in seinen eigenen Safe.
Am folgenden Tag, dem 13. Dezember, musste Schiller erfahren, dass zum einen die Los Angeles Times ebenfalls eine Fotokopie des Manuskripts besaß und dass zum anderen die Times beabsichtigte, den Artikel am nächsten Tag in voller Länge zu bringen. Der über den Verstoß gegen das Copyright erboste Schiller versuchte daraufhin vergeblich, die Veröffentlichung zu verhindern.
Wie die Los Angeles Times genau an die Geschichte gekommen war, bleibt nach wie vor
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