Hemmersmoor
ich schließlich.
Der Mann drehte sich zu mir um. Er trug einen Anzug aus derbem, braunen Stoff, und sein weißes Hemd stand am Kragen offen. Seine ledrige Haut war ganz faltig. Er hatte eine kräftige Nase, eine hohe Stirn und ein tief gekerbtes Kinn. Seine Augen waren wässrig und von einem so hellen Grau, dass sie fast weiß wirkten. Was konnten Augen wie diese sehen, fragte ich mich, und trat zwei Schritte zurück.
»Wer will das wissen?«, fragte der Mann.
»Ich«, erklärte ich trotzig.
Der Mann, den ich für Rico hielt, lachte. »Hast du auch einen Namen?«
»Christian Bobinski«, sagte ich. »Sind Sie das?« Ich deutete auf das Schild. »Was kann ich in der Hölle sehen?«
»Nicht wahr, du kannst es nicht erwarten?«, fragte Rico. »Aber die Hölle kann mit dir nichts anfangen. Du musst achtzehn Jahre alt sein, um meine Wunder zu sehen.«
»Unsinn«, sagte ich. »Ich bin alt genug.«
Rico lachte erneut. »Komm nach Mitternacht. Wenn du mir dann einen Gefallen tust, werde ich dich durch die Hölle führen.«
*
Auch wenn ich erst sieben Jahre alt war, wusste ich doch, dass die Hölle nicht in einem Zelt herumreisen konnte. Und trotzdem konnte ich den ganzen Tag lang keine Ruhe finden. Ich band meinem Kater Melchior eine Konservenbüchse an den Schwanz und schaute ihm zu, wie er vor Entsetzen aus unserem Garten und in die nahen Wälder sprang. Als meine Schwester Ingrid, die zehn Jahre alt war und in die vierte Klasse ging, nach Hause kam, steckte ich ihr einen Frosch ins Kleid, und meine Eltern schickten mich sofort auf mein Zimmer und verriegelten die Tür. Meine große Schwester Nicole schob einen Zettel unter meiner Tür hindurch. »Hoffentlich lassen sie dich nie wieder heraus.«
Die Hölle. Was hatte Rico mir zu zeigen? Ich kletterte aus meinem Fenster, sprang auf einen dicken Ast unseres Lindenbaums und ließ mich von dort zu Boden fallen. Ich musste Alex und Martin finden.
Sie waren bei Alex zu Hause. Der Lehrer hatte ihnen aufgegeben, bunte Blätter zu sammeln und sie in dicken, schweren Büchern zwischen Löschpapier zu trocknen. Mittlerweile erprobten sie die Methode an Eidechsen und Blindschleichen.
»Die Hölle?« fragte Martin. Er war der Sohn des Gendarms, sehr dünn und der Größte von uns. Sein Haar war rostbraun, und er hatte eine große Lücke zwischen seinen Vorderzähnen. »Und er lässt dich rein?«
»Wenn ich ihm einen Gefallen tue«, sagte ich.
Alex’ Eidechse bewegte sich noch immer und der Schwanz zuckte im Band A - D des Brockhaus Lexikons. Er war der jüngere Sohn von Herrn Frick, dem Besitzer der Gaststätte. Kräftig gebaut, hatte er buschige Augenbrauen, die ihm fast zusammenwuchsen. Sein Bruder Olaf hatte den Krug übernehmen sollen, hatte sich aber geweigert und war mit seiner Frau ausgezogen. Er arbeitete jetzt in Brümmers Maschinenfabrik.
Alex kümmerte der Zank zwischen Olaf und seinem Vater nicht und hatte das Zimmer seines großen Bruders sofort in Beschlag genommen. »So ein dummer Affe,« sagte er, wann immer die Erwachsenen auf Olaf zu sprechen kamen, und jedes Mal verpasste ihm sein Vater eine Ohrfeige. Doch die Gastwirtschaft war Alex’ Reich. Wann immer wir hungrig waren, konnte er uns aus der Küche etwas zu essen besorgen. Er hatte auch schon Schnaps für uns gestohlen. »Ist Rico der Teufel?«, fragte er jetzt.
»Das weiß ich nicht«, gab ich zu. Es schien nicht wahrscheinlich, aber Ricos Augen hatten mich fasziniert. Ich musste mir so ein Paar besorgen.
Um Mitternacht traf ich meine Freunde hinter Fricks Krug. Es war Freitagnacht, und der Lärm in der Gaststätte würde andauern, bis auch der letzte Säufer hinausgeworfen worden war. Es gab kein Gerücht, das Alex nicht gehört hatte. Was auch immer die Leute in Hemmersmoor geheimhalten wollten, unter Alkohol posaunten sie es schließlich doch heraus.
»Es ist die unglaublichste Sache, die er je gesehen hat«, erzählte er uns über Jens Jensen, den alten Torfstecher, der seinen Bommerlunder liebte und der schon oft gebeichtet hatte, dass er es mit Hexen im Moor trieb. »Er hat die Verdammten und ihre gequälten Seelen gesehen, und er sagt, dass es sogar dem Teufel selbst Angst einjagen könnte.«
Der Jahrmarkt hatte um Mitternacht geschlossen, und wir waren vor den Blicken der Erwachsenen sicher. Nur die Schausteller liefen noch vor den Zelten umher, und sie würdigten uns keines Blickes. Was kümmerten sie die Kinder von Hemmersmoor?
»Ricos Reise durch die Hölle« schien verlassen, der
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