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Hemmersmoor

Hemmersmoor

Titel: Hemmersmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Kiesbye
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Stube zu spielen, saßen wir draußen auf der Gartenbank, die Puppen auf den Stühlen ringsum. Es war so warm, dass die Jungen im Dorf in kurzen Hosen und ohne Schuhe umherliefen. Nach dem Regen der vergangenen Tage waren die Wege schlammig und aufgeweicht, und grosse Pfützen standen auf dem Dorfplatz. Herr Frick hatte Stühle und Tische vor seiner Kneipe aufgestellt, die Männer tranken ihr Bier im Freien.
    »Meine Mutter fährt in zwei Tagen nach Groß Ostensen«, erzählte mir Anke. »Sie will Stoffe einkaufen. Magst du mit uns kommen?«
    »Ja«, sagte ich sofort, besann mich aber schnell eines Besseren. »Ein andermal. Ich muss meinem Vater helfen.«
    Anke verdrehte die Augen. »Musst du wieder mit dem Friedrich spielen?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Der hat sonst niemanden, mit dem er in den Ferien spielen kann.«
    »Geschieht ihm recht. Meine Mutter sagt, der braucht einen Vater. Aber natürlich geht das nicht.« Sie tippte sich an die Stirn. »Wo soll er den herbekommen?«
    Erst am späten Nachmittag, nachdem die Sonne untergegangen war, ging ich nach Hause. Mein Vater war nirgends zu sehen, aber meine Mutter hatte Gäste. Als ich in die beleuchtete Küche trat, saßen Frau Meier, die Bäckersfrau, Frau Schürholz, die Frau des Gendarmen, und die Frau des Briefträgers, beisammen. Aber es war kein Kaffeeklatsch. Ein Marmorkuchen stand zwar auf dem Tisch, aber meine Mutter hatte nicht das gute Geschirr eingedeckt; die Frauen tranken ihren Kaffee aus den einfachen, weiß-blauen Tassen.
    Sie verstummten, als mir meine Mutter die Reste unseres Weihnachtsmahls auf den Teller häufte und mich auf mein Zimmer schickte. Ich schloss die Tür laut von außen, setzte den Teller zu Boden und lauschte dann von hinter einem Sessel in der Stube auf die Stimmen der Frauen, die so geheimniskrämerisch leise redeten, dass ich nur wenig verstehen konnte. Das Wort ›Krähe‹ hörte ich jedoch mehrere Male, und als die Frauen sich endlich zu später Stunde verabschiedeten, sagte Frau Schürholz, »Mein Klaus wird dir die Formulare beschaffen können. Das werden wir noch vor dem neuen Jahr hinkriegen. Wäre doch gelacht.« Und die Frau des Briefträgers sagte, »Mein Mann kann das arrangieren. Er wird ihn persönlich abliefern.«
    »Du hättest uns eher fragen sollen«, sagte Frau Meier. »Brauchst dich vor uns nicht zu schämen.«
    *
    Mein Vater schien sich über das Ende der Feiertage zu freuen. Sein Gesicht glättete sich zum ersten Mal in drei Tagen, und je näher wir dem Gut kamen, desto heller strahlten die Augen hinter seinen dicken Brillengläsern.
    Doch Inge erschien nicht zur Arbeit, und stattdessen kam Friedrich zu uns heraus gelaufen. »Sie hat Fieber und liegt im Bett«, sagte er und sah selbst ganz grau aus.
    Mein Vater hörte dem Jungen zu und nickte dann. »Schon gut. Sag ihr, sie soll sich nur ganz erholen.« Doch er schien beunruhigt. »Braucht ihr Medizin? Soll ich den Doktor holen?« Er machte einige Schritte aufs Gutshaus zu, besann sich aber eines Besseren. »Linde«, wies er mich an, »geh du und sieh, ob der Frau Madelung etwas fehlt.«
    »Du brauchst nicht zu kommen«, sagte Friedrich, als wir außer Hörweite meines Vaters waren. »Es ist kein richtiges Fieber.«
    »Kein richtiges Fieber?«
    »Sie ist schon krank, aber anders.« Als ich ihn nur stirnrunzelnd ansah, fügte er hinzu, »Sie hat die ganze Nacht nicht geschlafen. Ich glaube, sie hat meinen Vater gesehen.«
    »Der ist doch tot«, sagte ich laut und hielt mir dann erschreckt die Hand vor den Mund.
    Er zuckte mit den Achseln. »Sie hat ihn wirklich gesehen, glaube ich.« Und dann erzählte mir Friedrich, was in der vorigen Nacht passiert war. Seine Mutter hatte ihm zu Weihnachten ein neues Paar Hosen geschenkt, und er hatte sie entgegen ihren Ermahnungen zum Spielen nach draußen getragen. Aber nachdem er sich bei den Ställen herumgetrieben hatte, war er auf einem schlammigen Weg ausgerutscht und hatte sein Knie aufgerissen. Er hatte sich lange nicht heimgetraut, und als er endlich nach Dunkelheit nach Hause kam, hatte ihn seine Mutter angefahren und einen undankbaren Flegel, der ihr nur Kummer machte, gescholten. Friedrich hatte schweigend eine Tracht Prügel über sich ergehen lassen, aber der Zorn seiner Mutter hatte sich nicht legen wollen. Sie war in der Kammer auf und abgelaufen, hatte mit sich selbst gesprochen und auf den Gutsbesitzer geschimpft. »Und auf deinen Vater auch«, fügte Friedrich hinzu. »Sie war ganz außer sich,

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