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Hemmersmoor

Hemmersmoor

Titel: Hemmersmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Kiesbye
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ihn. Friedrich stolperte und fiel zu Boden, wo er auf einem grünen Postwaggon landete. Vielleicht hätten wir uns blutig geschlagen, aber in jenem Moment hörten wir draußen Schritte, und sofort stand Friedrich auf. »Petz nicht, sonst bist du tot«, flüsterte er.
    Einen Moment später öffnete Inge Madelung die Tür zur Kammer und hinter ihr erschien der alte Herr Kamphoff mit seinen blankgeputzten Schuhen. »Wäre doch schön. Es geht nichts über einen forschen Ritt übers Moor.« Er lachte und ballte die linke Faust.
    »Friedrich?«, sagte Inge. »Entschuldigen Sie die Unordnung. Herr von Kamphoff…«
    »Unsinn«, sagte der Gutsbesitzer und stieg vorsichtig über Schienen und Lokomotiven. »Ich will Sie auch gar nicht belästigen und lang von der Arbeit abhalten, aber ich muss doch wissen, ob Sie auch zurechtkommen.«
    Inge und wir Kinder sahen dem Gutsbesitzer schweigend zu, wie er sich ganz ungeniert in der kleinen Kammer umsah. Es war ja sein Besitz. Dies alles gehörte ja ihm. Er marschierte herum, befeuchtete einen Finger und wischte über die oberste Kante eines kleinen Schrankes. »Ha«, rief er. »Was für eine Hausfrau! Vielleicht sollte ich Sie im Gutshaus anstellen. Die viele Arbeit im Garten muss Ihnen doch zu schaffen machen, Frau Madelung.« Dann drehte er sich nach Friedrich um. »Hallo, kleiner Mann«, sagte er freundlich. »Sorgt die Mama auch gut für dich, ja? Sie erzählt mir, dass du ganz nach deinem Vater schlägst. Nicht wahr?« Er zwinkerte der Witwe zu, bevor er sich wieder dem Jungen zuwandte. »Du und ich, wir werden deine Mutter nicht vergessen, stimmt’s? Wir werden deine Frau Mutter in einer besseren Stube einquartieren. Was? So ein Mann wie du braucht doch ein bisschen Platz. Einen ordentlichen Tisch zum Lernen. Sollst doch nicht in so einer Kammer aufwachsen.«
    Friedrich antwortete nicht. Inge stellte sich hinter ihm auf, als ob sie ihn beschützen müsste, oder vielleicht brauchte sie Friedrichs Schutz. Sie schien ganz klein, und ihre Stimme war kaum zu hören. »Vielen Dank, Herr von Kamphoff«, sagte sie. »Aber sie haben genug getan.«
    »Papperlapapp«, sagte er und schritt langsam zur Tür. »Sie sind eine vorbildliche Mutter«, sagte er. »Das sind keine leeren Worte. Nächste Woche werden wir ihnen eine neue Stube einrichten.« Er schwieg einen Augenblick und sah sie dann ernst an. Langsam schüttelte er seinen Kopf. »Dieses Wetter, dieses Wetter.« Bevor er die Stube verließ, tätschelte er Inges Wange. »Die Natur ist doch seltsam.«
    *
    Zum Weihnachtsfest regnete es ununterbrochen, aber es war so warm, dass die Leute in Hemmersmoor die Fenster aufsperrten und trotz der Nässe ins Freie hinausliefen. Die Sternsinger trugen Regenschirme, und die Kanäle im Moor traten über die Ufer. Die Weihnachtsbäume wirkten fehl am Platz, die Pfefferkuchen waren zu weich und schmeckten nicht recht.
    Meine Mutter war schlecht gelaunt. Noch immer verdächtigte sie meinen Vater der Untreue, und mein Bericht vom Besuch des Gutsbesitzers schien sie in ihrem Verdacht gegen Inge Madelung nur zu bestärken. Ich verschwieg allerdings, was Friedrich mir gezeigt hatte, zu sehr fürchtete ich mich vor den Folgen. Das warme Wetter reizte sie, und sie stritt sich am Heiligen Abend mit meinem Vater. Sie ahnte, dass er ihr nicht alles erzählte, und was sie vermutete, muss noch viel schlimmer als die Wahrheit gewesen sein. »Kann gar nicht glauben, dass du nicht auf dem Gut bist«, sagte sie nach dem Abendessen. »Bist ja so freundlich mit der Krähe. Versteh gar nicht, warum du noch nach Hause kommst.«
    Mein Vater senkte seinen Kopf und blieb still. Wir konnten hören, wie er langsam ausatmete. Hals und Kopf liefen ihm rot an.
    »Hat sich nicht geändert, das Flittchen. Erst lässt sie sich von einem Soldaten den Bauch vollmachen, und jetzt will sie mir meinen Mann stehlen.«
    Mein Vater stand mit einem Ruck auf. Sein Blick war finster, und er ballte die Fäuste, aber es kamen keine Worte aus seinem halb offenen Mund. Er blies die Kerzen auf dem Baum aus, nahm Jacke und Hut und kehrte erst nach Mitternacht zurück. Ich musste meine Geschenke allein auf meinem Zimmer auspacken.
    *
    Die Feiertage waren noch schlimmer, es herrschte so dicke Luft, dass ich am Morgen des Zweiten zu Anke ging, um mit ihren neuen Puppen zu spielen. Sie war die einzige Tochter der Hoffmanns, und ihre Mutter überhäufte sie mit Geschenken, die sie mir stolz vorführte. Statt wie jeden anderen Winter in der guten

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