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Hemmersmoor

Hemmersmoor

Titel: Hemmersmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Kiesbye
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Gasthaus deshalb fernbleiben. Aber wenn erst einmal genug Gras über Broder Hoffmanns Tod gewachsen sein würde, wollte Alex den Krug leiten.
    »Als Helga starb«, fuhr Bernd Frick fort, »hatte ich es sehr schwer. Ohne Hilde wären das Haus und ich selbst verkommen. Was meinst du? Warum baut ihr jungen Leute nicht an unser Haus an, und wenn ich einmal nicht mehr bin, gehört alles euch?«
    Olaf kaute auf seiner Lippe herum. Das Haus seiner Eltern lag am Dorfplatz, und er mochte den Gedanken nicht, von den Nachbarn beäugt zu werden und ihnen Anlass zum Tratsch zu sein. Aber er hatte die Beerdigungen seiner Mutter und seine Schwester versäumt. Er hatte seinem Vater viel Kummer bereitet. »Ich werde darüber nachdenken«, sagte er und stand auf und legte die Arme um Hilde, die die ganze Zeit schweigend zugehört hatte. »Du tust mir weh«, entgegnete sie und drehte und wand sich. Er lachte. »Ich bin ein Klotz, ich werde vorsichtiger sein.«
    *
    Am nächsten Morgen lief ich in aller Frühe auf den Dorfplatz. Ich hoffte, Olaf alleine zu sprechen und ihn nach den Schiffen fragen zu können, auf denen er gefahren war. Ich wollte wissen, wie es gewesen war, die Welt zu befahren. Ich wollte wissen, wie groß die Schiffe gewesen waren und was er in den Häfen erlebt hatte. Ich hatte von Bombay gehört, von Baghdad und den Kalifen, aber sie hatten bislang nur in den Märchen existiert. Olaf hatte all das mit eigenen Augen gesehen. Was für Geschichten musste er erlebt haben!
    Doch ich hatte noch einen weiteren Grund, auf Olaf zu warten. Nach dem Vorabend hoffte ich, dass ich für ihn arbeiten und Geld genug für ein Moped sparen könnte. Ich hatte noch nie auf einem Bau gearbeitet, zählte aber darauf, ihn überreden zu können.
    Ich musste mich gedulden, bis Olaf schließlich auf der Terrasse der Gaststätte erschien. Sein Haar war ungekämmt, und er blinzelte ins Tageslicht und schaute sich um, als ob unser Dorfplatz der seltsamste Ort auf der Welt wäre. Ich grüßte ihn, und er schien mich nicht sofort zu erkennen. Dann schüttelte er plötzlich den Kopf und sagte, »Martin. Ich wollte gerade einen kleinen Spaziergang machen.«
    »Kann ich mitkommen?«, fragte ich.
    Wir gingen die Dorfstraße entlang, und mit einem Mal hatte ich meine Fragen vergessen. Ich kannte Olaf von früher, aber in seiner Gegenwart kam ich mir plötzlich wie ein Kleinkind vor. Die Geschehnisse im Dorf, meine Liebe zu Heike Brodersen, die nicht enden wollte, das musste doch in seinen Augen null und nichtig sein. Ich und Hemmersmoor hatten ihm nichts zu bieten.
    »Also, was gibt’s Neues im Dorf, Martin?«
    »Bleibst du jetzt für immer hier?«, fragte ich, anstatt ihm zu antworten.
    »Willst du mich schon wieder loswerden?«, fragte er zurück und lachte.
    »Nein, aber…«, sagte ich, und brach ab. »Aber vielleicht brauchst du …« Ich hielt erneut inne. Es war noch zu früh, entschied ich, um ihn nach Arbeit zu fragen. »Momentan sprechen alle von dir und deiner Familie.«
    »Ist das wahr?« Olaf schien neugierig.
    »Annas…von Anna…« Ich biss mir auf die Zunge und lief unter meinem roten Haar hochrot an. Ich war einen Kopf kleiner als Olaf und nicht so stark gebaut, aber meine Hände waren fast so groß wie seine. Ich kratzte mich an der Wange und war froh, einige Bartstoppeln zu spüren. Dann sagte ich, etwas unüberlegt, »Die Leute fragen sich, ob Jan es dir heimzahlen wird.«
    »Ist er noch immer auf mich wütend?«
    »Eines Tages, als er Hilde begegnet ist, hat er gesagt, dass du nicht zurückkommen würdest. Doch solltest du wirklich kommen, würde er dafür sorgen, dass du gleich wieder kehrtmachst. Auf deinen eigenen Füßen, falls du dich sputen würdest, und wenn nicht, dann in einem Sarg. Er war aber sturzbetrunken. Das war in der Gaststube. Dein Vater hat ihn mit der Faust geschlagen.«
    »Das hat er mir nicht erzählt«, sagte Olaf.
    »Oh«, sagte ich dümmlich. »Na, jetzt weißt du’s. Den Leuten hier hat es nicht gefallen. Sie haben gesagt, man schlägt keinen Krüppel. Aber wenn du mich fragst: Hilde kann froh sein, dass dein Vater zur Stelle war.«
    Olaf nickte zustimmend. »Was ist während meiner Abwesenheit im Dorf sonst noch passiert?«
    »Heidrun Brodersen wurde wegen Kindsmordes verhaftet, und Käthe Grimm ist verschwunden.«
    »Käthe? Die verrückte Käthe?«
    »Sie ging eines Nachts fort und ist nie zurückgekehrt. Sie hat sich mit Sicherheit im Moor verlaufen.«
    Olaf legte den Kopf schief. »Und was hast du

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