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Hemmersmoor

Hemmersmoor

Titel: Hemmersmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Kiesbye
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ahnte, dass sein Vater sich wegen Jans Hand Vorwürfe machte, und er wollte ihn nicht weiter betrüben. »Was soll ich tun?«
    »Du kannst jederzeit wieder hier im Krug anfangen. Er ist dein Erbe, Olaf.«
    Olaf nickte stumm, es schien alles so einfach. Doch dann sagte er, »Das kann ich nicht. Jetzt schon gar nicht.«
    Bernd seufzte tief, er hatte es nicht anders erwartet. »Dann musst du fort.«
    In der nächsten Woche ließ Olaf Hilde bei seinen Eltern zurück und fuhr nach Hamburg, um sich dort nach Arbeit umzusehen. Er würde sparen, um sich eine Wohnung leisten zu können, und Hilde dann nachkommen lassen.
    Alex und ich waren zehn Jahre alt, als Olaf das Dorf verließ, und wir schenkten ihm keine Beachtung. Alex liebte die Gastwirtschaft, und er leistete seinem Vater hinter dem Tresen oft Gesellschaft. Er stahl Schnaps und Zigarren für uns Jungen, und wir beobachteten seine Schwester durch einen Spalt im Dachboden, wenn sie einen ihrer Freunde auf ihr Zimmer schmuggelte.
    Irgendwann kamen Neuigkeiten aus Hamburg ins Dorf. Die ersten Monate waren schwer für Olaf. Er schlief in einer billigen Absteige, arbeitete auf den Werften, wenn jemand gebraucht wurde, und verdiente doch nicht genug Geld, um eine Familie zu ernähren. Dann bot sich ihm die Gelegenheit, auf einem Frachtschiff anzuheuern, das bald nach Amerika auslief. Er hatte keine Zeit, Hilde vor der Abfahrt noch einmal zu besuchen und schickte ihr nur einen Brief, in dem er schrieb, dass er nach einigen Monaten zurück sein werde. Die Nachricht vom unerwarteten Tod seiner Mutter muss ihn knapp verpasst haben.
    Bernd Frick trug nun stets einen schwarzen Anzug, und wenn wir Jungen in der Gaststube auftauchten, um Alex zum Spielen abzuholen, schien er uns nicht zu sehen. Vor dem Tod seiner Frau hatte er uns manchmal eine Brause ausgegeben, aber nun lächelte er uns nur abwesend zu.
    Aus New York schickte Olaf einen kurzen Brief an Hilde. Er werde noch in derselben Nacht nach Buenos Aires ablegen. Er vermisse sie, schrieb er, träume jede Nacht davon, zu ihr zurückzukehren. Er hoffe, dass es nicht allzu schwer für sie sei, im Haus seiner Eltern zu leben, er wisse, wie seine Mutter sein konnte. Er würde mit den Taschen voller Geld heimkehren. Sie würde schon sehen.
    Doch er kam auch aus Buenos Aires nicht zurück. Bunte Postkarten aus Kairo, Vancouver, San Francisco und Macao trafen in Hemmersmoor ein, wo der Postbote sie zunächst in der Bäckerei herumzeigte.
    »Lesen ist nicht erlaubt«, warnte er meine Mutter. »Aber schau dir nur die Stadt an. Ich hatte keine Ahnung, dass es die überhaupt gibt.«
    In den ersten zwei Jahren seiner Abwesenheit erkundigten sich die Nachbarn oft nach Olaf. Ja, der Unfall in der Fabrik sei eine schlimme Sache gewesen, aber müsse er denn unbedingt so lange fortbleiben? Wo war er denn jetzt? Was hatte Hilde zu berichten? Hatte er vielleicht ein Foto geschickt?
    Nach zwei weiteren Jahren fragte kaum noch jemand. Und Hildes Antworten wurden immer knapper. Ja, er schreibe noch. Ja, er werde bald zurückkommen.
    Doch nach fünf Jahren war Olaf noch immer nicht nach Hause zurückgekehrt, und er geriet in Vergessenheit. Hilde lebte mit ihrem Schwiegervater, ging ihm im Haus und in der Gaststube zur Hand, und machte die täglichen Besorgungen. Manchmal, wenn sie die Bäckerei verließ, seufzte Frau Meier und sagte: »Was für eine Schande. So eine hübsche, junge Frau.«
    Die Fricks, die reichste Familie im Dorf, fanden jedoch keine Ruhe. Erst wurde Alex in eine Jugendstrafanstalt eingewiesen, dann heiratete Anna Frick Rutger von Kamphoff. Alle Augen richteten sich auf die bevorstehende Hochzeit; eine solche Hochzeit hatte Hemmersmoor noch nie gesehen, und die Leute im Dorf munkelten, dass den von Kamphoffs das Geld Bernd Fricks gelegen kam. Ein halbes Jahr später war Anna tot, und Rutger von Kamphoff musste sich wegen Totschlags vor Gericht verantworten. Niemand im Dorf hatte Zeit, sich um alte Geschichten zu kümmern.
    Erst nach sieben Jahren kam Olaf heim. Er war nun fünfundzwanzig, mit breiten Schultern und einem herben Gesicht und einem Schnurrbart. Er trug einen Peacoat und eine Segeltuchtasche auf dem Rücken. In der rechten Hand hielt er einen neuen, ledernen Koffer. Er war noch gewachsen, fand meine Mutter. Frau Hoffmann lächelte höhnisch. »Er wird ganz verroht sein, nach all den Jahren in den dunklen Ländern.« Sie hatte den Fricks nie den Tod ihres Sohnes vergeben.
    Olaf ging geradewegs auf die Gastwirtschaft zu

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