Hendrikje, Voruebergehend Erschossen
nicht ausgeschmückt, das war wirklich so.«
»Ja – krächz –, Hendrikje«, sagt die Palmenberg und schaut sich suchend auf und unter dem Beistelltischchen um, »entschuldigen Sie mich bitte einen Augenblick, ich brauche ein Wasser, ich bin gleich zurück.«
Die Palmenberg legt ihren Schreibblock ab, steht auf, geht hinaus und schließt sorgfältig die Tür hinter sich.
Hendrikje lehnt sich in ihrem Patientensessel zurück und ist stolz auf sich: Das geschieht der Palmenberg jetzt recht. Jetzt hat sie’s ihr heimgezahlt: all die kleinen tückischen Fangfragen, die Klugscheißerei und die manchmal in ihren Augenwinkeln aufleuchtende Verachtung, die sie nicht mal zu verbergen sucht. Jetzt ist sie fertig, die Palmenberg. Und Hendrikje hat nicht mal gelogen.
Die Palmenberg kommt zurück ins Zimmer, sehr gefasst und mit einer Flasche Mineralwasser und einem Glas in der Hand. Sie lässt sich wieder auf der Fernsehliege nieder, gießt sich ein und trinkt. Und Hendrikje setzt das aufmerksame Gesicht eines Klassenstrebers auf.
»Ja, Hendrikje, was ich sagen will ist, nicht alle Details sind für unsere Arbeit hier so wichtig.«
»Ja, aber in solchen Sachen, also wenn es um Sex oder so geht, steckt der Teufel im Detail. Und irgendwie – ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, ist es auch wichtig, dass es wirklich der
Teufel
ist, der im Detail steckt.«
»Was soll das denn heißen?«
»Das soll heißen, dass es nicht dasselbe gewesen wäre, wenn irgendein anderer Mann das mit mir gemacht hätte, was Dieter mit mir gemacht hat. Was ich sagen will ist: Es war natürlich völlig anders als mit Ernst, aber selbst wenn Ernst all diese Sachen gemacht hätte, es wäre nicht dasselbe gewesen.«
»Natürlich nicht«, gibt die Palmenberg zu. »Fahren Sie fort, und wenn es geht, fassen Sie sich kurz, bitte.«
Ach, sie sagt
bitte
, schau mal einer an.
»Gern«, lächelt Hendrikje.
»Dieter und ich haben uns unter der Bettdecke aneinander gekuschelt und Dieter legte noch seinen Arm um mich und sagte: ›Du hast so schön gesungen …‹, und ich schaute mir das Segelschiff an und sagte: ›Es ist schön‹, und Dieter sagte: ›Es gehört dir.‹ Da hat er mir tatsächlich sein Segelschiff geschenkt. Ich war selig und wir sind Arm in Arm eingeschlafen.
Am nächsten Morgen sind wir wach geworden, beinahe gleichzeitig, und das Erste, was passierte, war, dass wir uns angelächelt haben. Dieter stand auf und sagte, er wollte Brötchen holen, und ich war begeistert. Ein Mann, der morgens aufsteht, um Brötchen zu holen! Ich brachte ihn zur Tür, um mir gleich meine Zeitung von der Fußmatte zu schnappen, aber die Zeitung war nicht gekommen. Na ja, klar, draußen war alles verschneit und vereist, und dann passiert das schon mal, dass der Zeitungsbote nicht durchkommt. Also bat ich Dieter, auch die Zeitung mitzubringen, und Dieter fragte: ›Welche denn?‹, und ich sagte: ›Einfach
Die Zeitung
.‹ Denn so heißt die Zeitung, in der Sugar Brown seine Kolumnen schreibt, einfach
Die Zeitung
. Dieter bat mich, ihm das bitte aufzuschreiben auf einem Zettel, er würde es sonst vielleicht vergessen und die falsche anschleppen.
Ich hab mich zwar darüber gewundert, aber dann fand ich das auch gleich wieder süß von ihm und war begeistert, wie gewissenhaft er war und dass er mich nicht mit einer falschen mitgebrachten Zeitung ärgern wollte. Also bin ich, nackt wie ich war, zurück in mein Zimmer gehoppelt und hab da ein Eckchen Papier aus einem Skizzenblock rausgerissen und Dieter aufgeschrieben: ›Die Zeitung‹. Ich bin schnell zurückgeschlupft ins Bett, weil es kalt war, und Dieter zog sich im Flur seine Jacke an und guckte sich aus rein professioneller Neugier Ernsts Kacheln an, die die Handwerker dort abgestellt hatten. Dieter nahm eine davon in die Hand, schüttelte den Kopf und sagte: ›Du, damit wirst du keine Freude haben, das sind die billigen, die halten nix aus.‹ Ich musste kichern, weil ich mich freute, dass Ernst Kacheln in seiner Küche haben würde, die nichts aushalten würden, und sagte zu Dieter: ›Egal, sind nicht meine,‹ und er legte die Kachel zurück und sagte: ›Besser so.‹ Dann kam er noch mal zu mir, küsste mich noch mal und sagte: ›Ich bin in zehn Minuten zurück, und dann will ich Kaffee haben.‹ Und ich lächelte ihn an und sagte: ›Geht klar!‹ Ich gab ihm den Zettel und küsste ihn, und er sagte: ›Den Kaffee will ich aber im Bett trinken!‹ Da küsste ich ihn noch mal und sagte:
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