Hendrikje, Voruebergehend Erschossen
›Geht auch klar!‹
Es verging der ganze Vormittag, aber Dieter kam nicht zurück. Naja, das war natürlich schade und ich war traurig, und am Abend hab ich noch mal in der
Grünen Palme
nachgesehen, aber auch da fehlte der zehnte Mann am Tresen. Ich fing an, mir ein paar Sorgen zu machen, und ich hab auch ein Stückchen geheult, weil doch gerade eben erst noch alles so schön mit Dieter war und nun war er weg. Ich hab mich dann damit beruhigt, dass ich mir tausend gute Gründe vorgesagt habe, aus denen Dieter vielleicht verhindert war. Vielleicht hatte er einfach nur auf die Uhr geguckt und festgestellt, dass wir fast bis mittags geschlafen hatten, und musste in Lisas Loft, schon um noch ein paar Stunden bei Tageslicht arbeiten zu können. Oder er hatte ein bisschen Schiss vor seiner eigenen Euphorie bekommen und wollte sich erst mal abkühlen. Ich dachte, komm, Hendrikje, halt den Ball flach, der taucht schon wieder auf.
Die Woche verging, ohne dass ich Dieter wiedergesehen hätte, und dann kam der Freitag, mein letzter Arbeitstag. Wieder hatte ich eine Bombenlaune, es machte mir so viel Spaß zu kellnern wie noch nie. Wieder gab es Unmengen von Trinkgeld, der doofe Bruno saß am Tresen, trank Espresso und schwieg, und nach dem Schlagabtausch mit dem Zoo traute er sich nun nicht mal mehr, mich auch nur anzugucken, und ich dachte: schade eigentlich um den armen Kerl.
Als abends um sechs Goebbels kam, um mich abzulösen, hab ich gekündigt. ›Ich komme nicht wieder‹, hab ich gesagt, und Goebbels glotzte mich an und sagte ziemlich erschrocken: ›Du machst Witze.‹ Und ich sagte: ›Nee, mach ich nicht.‹
Sie hat mir sofort und ohne Umstände wie jeden Freitag meinen ganzen Wochenverdienst ausgezahlt, und ich habe ihn ganz ruhig eingesteckt und die CDs, die mir gehörten, vom Regal eingesammelt. Dann wollte sie wissen, warum ich denn aufhöre und ob ich einen besseren Job gefunden hätte. Oh, es war mir ein Pastorenschießen, da stand Goebbels nun und fand das natürlich richtig doof, dass ich weg wollte. Damit wurden drei Schichten pro Woche frei, und ich wusste, dass sie die so schnell gar nicht neu besetzen konnte. Sie würde selber ranmüssen.
Ich sagte ihr, dass ich keinen besseren Job hätte, aber dass ich einfach keine Lust mehr auf sie und ihren Laden hätte. ›Ich habe einfach keine Lust mehr auf diesen Laden, und, Maria‹ – Maria war ihr Vorname –, ›auf dich eigentlich auch nicht.‹ Sie hielt tatsächlich die Luft an. ›Du weißt, dass dein Spitzname
Goebbels
ist, bei allen hier, nicht wahr, das hast du doch mitgekriegt?‹, fragte ich, und sie starrte mich an, als wär sie versteinert.
Ich merkte, dass der doofe Bruno alles mit anhörte, er saß ja direkt bei uns am Tresen und schaute uns ganz unverhohlen zu.
›Sag mal, du hast ja wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank!‹, brach es plötzlich aus Maria Goebbels raus, und ich wurde immer ruhiger und sagte: ›Genau das meine ich, diesen Ton jetzt. Hör dir mal zu. Du kommst morgens hier rein und kommandierst rum wie auf’m Kasernenhof, und mittags noch mal und am Abend wieder. Ganz abgesehen davon, dass mir das stinkt, hast du dir mal überlegt, wie die Gäste das finden? Die kriegen das nämlich jeden Tag mit und manche haben sich schon bitter bei mir beklagt über dich. So ist das nämlich, und nicht umgekehrt. Und hast du es eigentlich nötig, jede alte Oma, die Kuchen ohne Sahne bestellt, zu bescheißen und ihr Sahne draufzuknallen? Damit du 30 Cent mehr verdienst? Dabei sagen das die alten Leute nicht einfach so, sondern die haben schlimme Cholesterinwerte und verkalkte Arterien, und du mit deiner Sahne bringst sie für 30 Cent um!‹
›Raus!‹, fauchte die Goebbels. ›Sofort raus!‹
›Ich bin schon weg‹, sagte ich, packte aber in Seelenruhe weiter meine Sachen zusammen, ohne jede Eile.
Um ihre Worte mit Taten zu untermauern, riss Goebbels die Geschirrspülmaschine auf, ein Schwall heißer Dampf kam heraus und hüllte sie kurzfristig ein, während sie lärmend begann, das Geschirr auszuräumen. Sie pfefferte die Teller und Cappuccinotassen links und rechts von mir auf den Tresen, dass ich mir vorkam wie das Girl im Zirkus, das mit fliegenden Messern umtackert wird.
Der doofe Bruno saß daneben und grinste. Ich glaube, es gefiel ihm, dass Goebbels sich mal richtig ärgern musste.
Schließlich hatte ich meine Sachen gepackt, und Goebbels baute sich gebieterisch vor mir auf, mit einem Stapel großer Salatteller in den
Weitere Kostenlose Bücher