Hendrikje, Voruebergehend Erschossen
Händen, und schaute mich fuchsteufelswild an. Dabei zog sie ihre erst vor wenigen Wochen tätowierten Augenbrauen, die sie völlig entstellten, gewitterhaft zusammen. ›Gibt’s noch was?!‹, fragte sie wütend.
Und ich fragte: ›Was wirst du tun? Wirst du den Typen verklagen?‹
Sie wusste nicht, wen ich meinte, war kurz irritiert und fragte: ›Verklagen? Wen jetzt? Welchen Typen verklagen?‹
›Na den, der dir diese Balkenüber die Augen tätowiert hat.‹
Der doofe Bruno lachte leise. Goebbels knallte die Teller auf den Tresen und wurde ein kleines bisschen handgreiflich. Also sie schubste mich hinter’m Tresen weg und sagte: ›Los, mach, dass du rauskommst.‹
Der doofe Bruno kicherte immer noch. Er fand das wohl alles hochkomisch, und als ich draußen auf der Straße stand, dachte ich plötzlich: ›Nee, Bruno, so kommst du mir nicht davon.‹
Ich bin – und ich könnte kotzen, wenn ich daran denke – tatsächlich zurück ins Café gegangen. Ich habe mich einigermaßen aufgebaut vor Bruno und habe ihm gesagt, dass er sich ja nicht zu früh freuen soll und dass ich
auch
froh bin,
ihn
nicht mehr jeden Tag sehen zu müssen mit seinen gelben Frotteesöckchen in seinen Gesundheitssandalen. Und dass sein Rauschebart eine optische Zumutung ist und sein ewiges distinguiertes Getue, also sein ewiges Klappehalten, eine Gemeinheit. ›Ich werd dich nicht vermissen!‹, hab ich ihm ins Gesicht gesagt. Ich weiß noch, dass er bleich wurde und dann bin ich rausgerauscht.«
Hendrikje schüttelt den Kopf und kneift schamvoll die Augen zu.
Das wundert die Palmenberg. »Nun ja, Hendrikje, das war zwar nicht die feine englische Art, aber Sie haben sich wenigstens mal Luft gemacht, das wurde doch Zeit. Ich kann das nur positiv bewerten und Ihnen dazu gratulieren.«
Aber Hendrikje schüttelt immer noch den Kopf und hat immer noch in Entsetzensgeste die Hand vor’m Mund und verliert jetzt tonlos ein paar Tränen.
Die Palmenberg erschrickt: Hier steckt offenbar ein sehr ernster, ganz wichtiger Kern. Knackpunkt. Schlüssel. Bruno?
»Sagen Sie, Hendrikje, es ist aber nicht Bruno einer von den anderthalb Menschen, die Sie …?«
Hendrikje zieht den Rotz in der Nase hoch und schaut die Palmenberg an.
»Nee, nich Bruno.«
»Gut.«
»Wenn Sie erlauben, bleibe ich strikt in der Chronologie.«
8
Am Samstagmorgen bin ich einkaufen gegangen, denn am Abend war ja mein Abschiedsfest in Schleswig-Holstein.
Ich hab den ganzen Wochenverdienst auf den Kopf gehauen. Ich hab eine große Lammkeule gekauft und drei Flaschen Champagner, Lychees und Zitroneneis und das teuerste und dickste und weichste Klopapier, das es gab. Ich war schon am frühen Mittag wieder zu Hause, ich hatte also noch viel Zeit bis zum Abend, und ich dachte, ich schau mal in Lisas Loft vorbei, Dieter ist sicher am Arbeiten. Ich hab also einen kleinen Spaziergang gemacht zu Lisas Loft, aber die Holzlattentür war mit einer Kette und einem großen Vorhängeschloss von außen versperrt. Es hatte sich also niemand von innen eingeschlossen. Ich guckte sicherheitshalber noch durch die Latten, aber da war tatsächlich keine Menschenseele.
Also bin ich wieder heim. Ich bin durch die Wohnung gelaufen, und da fiel mir das von meiner Omi vor den Russen gerettete Schmuckkästchen ein. Ich bin in Omis Schlafzimmer gegangen und da stand es auf dem Nachttisch, und ich setzte mich auf Omis Bett und machte das Schmuckkästchen auf. Da waren die kaputten Silberkettchen, die Bernsteinbrosche, die ein vierblättriges Kleeblatt darstellte, und die goldene Kette mit dem verschnörkelten Barockanhänger mit den Süßwasserperlen. Und eben Omis Uhr.
Plötzlich fiel mir ein, dass ich nicht daran gedacht hatte, was aus diesen schönen Andenken werden sollte, und es gefiel mir ganz und gar nicht, dass Sophie oder Lisa sich die Teile unter den Nagel reißen würden. Also hab ich das Schmuckkästchen aus Omis Zimmer in mein Schlafzimmer gebracht und unter dem Monopoly-und dem Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spiel und den Impfpässen in meinem großen Schrank versteckt. Aber ich wusste, dass mir dazu noch was einfallen musste, heute noch, am besten gleich, und das müsste ich genauso testamentarisch festlegen wie den juristisch einwandfreien Abschiedsbrief, den ich auch fast vergessen hatte. Also. Ich habe im Wohnzimmer schönes Büttenpapier von der Omi in einer Mappe gefunden und mich hingesetzt und habe richtig mit Füller den Brief geschrieben. Dass ich halt aus freiem Willen aus
Weitere Kostenlose Bücher