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Hendrikje, Voruebergehend Erschossen

Hendrikje, Voruebergehend Erschossen

Titel: Hendrikje, Voruebergehend Erschossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Purschke
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»Na gut, also bitte, dann bleiben Sie in der Chronologie.«
    »Ich habe also im Café gearbeitet und hatte richtig gute Laune. In einer Woche, so dachte ich, würde ich mein Kreuz getragen haben. Das wäre dann Vergangenheit. Also, das hat mich richtig beflügelt. Irgendwann hab ich in den Spiegel geschaut, damals hatte ich noch schulterlange Haare, und die hatte ich hochgesteckt, aber plötzlich fand ich, dass das scheiße aussah. Dass mich das alt machte, richtig alt. Und ich dachte, Mensch, Wynona Ryder hat kurze Haare und sieht klasse aus, Heike Makatsch und Sharon Stone haben kurze Haare und sehen klasse aus, da kann ich doch auch kurze Haare haben. Da bin ich nach der Arbeit direkt zum Friseur gegangen und habe mir eine Kurzhaarfrisur verpassen lassen, und siehe da, es sah klasse aus.
    ›Todschick!‹, rief der Friseur, als er fertig war, und er hatte Recht. Das war ein Friseur in der Innenstadt, und wie ich rauskomm’, da laufen Lisa und Sophie an mir vorbei, die haben mich erst gar nicht erkannt. Ich hab sie aber erkannt und angesprochen, und die sagten auch, dass die Frisur super wäre. Sie mussten dann aber schnell weiter, weil sie am Einkaufen waren für unser Fest am Wochenende.«
»Ach, was haben die denn eingekauft?«
    »Oh, sie zeigten mir ihre Taschen und Schachteln, in denen Schuhe waren, schwarze Schuhe, sie hatten sich Trauerkleidung gekauft, ein paar
Kleine Schwarze
und passende schwarze Pumps, also, die nahmen die Sache schon sehr ernst. Sie wollten noch vor Ladenschluss einen schwarzen Body für Lisa finden und für Sophie schwarze Stützstrümpfe, also hatten sie nicht viel Zeit und beeilten sich, weiterzukommen. Ich bin dann nach Hause gegangen und habe mir endlich ein Bad einlaufen lassen, das wollte ich ja schon seit Wochen tun, einmal richtig schön heiß baden. Das hab ich dann auch gemacht, ich lag in der heißen Badewanne mit mehr Schaum, als es die Omi jemals erlaubt hätte, und ich genoss es. Dann hat es plötzlich geklingelt, richtig Sturm. Ich hatte keine Ahnung, wer das denn nun sein könnte, aber das Klingeln hörte sich so dringlich an, dass ich aus der Wanne stieg, mir meinen Bademantel anzog und aufgemacht habe.
    Es war Ernst mit zwei Handwerkern. Die Handwerker trugen Schachteln mit Kacheln in den Flur und stellten sie dort ab, und ich schaute rein in die Schachteln: echt schön. Schöne italienische Kacheln, aus der Toskana, ganz toll. Als die Männer die eine ganze lange Wand des Flurs zugestellt hatten mit ihren Kachelkartons, da führte Ernst sie durch die Wohnung und zeigte ihnen alles. Wo in der Küche die Küchenzeile und die Dunstabzugshaube hin sollte, er führte sie auf den Balkon und ruckelte am Geländer herum, das lose war. Und nun ruckelte er es noch loser, es brach an einer Stelle aus dem Stein, und so demonstrierte er den Handwerkern, wie rostig und morsch und lebensgefährlich das Ding war, denn er wurde ja Vater. Dann ging er ins Bad, in der Badewanne stand noch mein Badewasser und das Badewasser war auch noch warm, und Ernst ließ den Stöpsel raus, damit die Arbeiter hören konnten, wie der Ausguss schnorchelt, denn er hatte bei uns natürlich schon geduscht und wusste das.
Naja, das Badewasser lief ab und der Ausguss schnorchelte und die Handwerker machten lange Gesichter und sagten: ›Das wird teuer.‹ Das war Ernst egal, er sagte, egal was es kostet, Hauptsache, er kann später in Ruhe baden. Die Arbeiter gingen, und Ernst blieb noch einen kleinen Augenblick bei mir. Er wollte mir noch was unter vier Augen sagen. Und er nahm meine beiden Hände in seine beiden Hände, schaute mir fest in die Augen und sagte: ›Siehste, Hendrikje, da bin ich ganz unvermutet zu deinem letzten Mann geworden, zu deinem letzten Geliebten. Du musst nicht denken, dass mir das nichts bedeutet … Der Letzte, der dich von innen gestreichelt hat … Ich behalte das in meiner Erinnerung.‹
    Ich war ehrlich gesagt ziemlich verblüfft von dieser Gefühlsaufwallung, und deswegen konnte ich gar nichts sagen. Er drückte meine Hände, ließ sie los und ging, und ich stand im Flur neben den italienischen Kacheln wie vom Donner gerührt. Ernst wollte wahrscheinlich etwas Nettes damit gesagt haben, aber ich merkte dann, dass ich doch sehr empört war. Das war doch eigentlich eine Unverschämtheit: der Letzte, der mich von innen gestreichelt hat! Woher wollte er das eigentlich wissen? Vielleicht hatte ich inzwischen ja schon mit drei anderen … Also nicht, dass ich hätte, aber es

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