Hendrikje, Voruebergehend Erschossen
dem Leben trete und dass ich bei absolut klarem Verstand bin. Und dass, wenn man eines Tages das von meiner Großmutter vor den Russen gerettete Schmuckkästchen finden würde, der Schmuck darin verkauft und der Reinerlös an die Restaurationswerkstatt für Gemälde der Leningrader Eremitage gehen sollte. Ich wusste zwar, dass das meiner Großmutter nicht recht sein würde, dass der Inhalt des Schmuckkästchens nun am Ende doch noch den Russen in die Hände fallen würde, aber ich fand es gut so und dachte: ›Omi, diesmal setzte ich mich über deine Meinung hinweg. Das ist nicht so schlimm, als wenn Lisa oder Sophie damit rumlaufen.‹
Dann habe ich in dem Brief meine Freunde schriftlich um Entschuldigung gebeten, dass ich mich in ihrer Gesellschaft umbringe und dass ich sie mit der ganzen Sache behellige und dass sie mir verzeihen mögen, aber alleine hätte ich zu viel Angst gehabt. Das wollte Lisa so, damit für die Polizei und die Behörden auch ja kein Verdacht aufkommt.
Dann war der Brief fertig. Ich habe ihn, darauf hatte mich Lisa extra aufmerksam gemacht, mit vollem Namen unterschrieben und genau datiert. Ich steckte ihn zu der Lammkeule und dem Champagner und zog wieder mein schönes weinrotes Minikleid an und die weißen Sandalen. Da klingelte es auch schon und Ernst und Sophie holten mich ab. Ernst in seinem großen Auto, die beiden saßen vorn und ich kletterte nach hinten, und so fuhren wir los zu Lisas Landhaus in Schleswig-Holstein.
Sophie war die Situation unangenehm, jedenfalls fing sie sehr verlegen an, sich bei mir zu entschuldigen, aber nicht für die Tatsache, dass ich ihrem Vater je nach Verlauf möglicherweise eine Niere spenden würde (ich hatte jedenfalls keine Anordnung getroffen für nach meinem Tod, die konnten theoretisch mit mir machen, was sie wollten), sondern dafür, dass sie mir Ernst ausgespannt hatte. Sie druckste rum, sie habe mir ehrlich nicht wehtun wollen, wo wir uns doch schon so lange kennen, aber sie hätte sich halt unsterblich in Ernst verliebt und nichts dagegen machen können. Und sie wollte auf gar keinen Fall meine Freundschaft verlieren. Ich habe ihr geantwortet, dass sie die Klappe halten soll und dass ich ihr ja verzeihe. Und sie sagte, oh ja, das soll ich bitte tun, gerade jetzt, wo ich doch schon mit einem Bein im Grab und so.
Ernst, der merkte, dass es nun aber reichte, war so taktvoll, das Thema zu wechseln. Er erzählte stundenlang von dem Rotwein, den er zu spendieren gedachte, wo der herkam und wie teuer der war und warum er so teuer war. Sehr lehrreich und schön, wenn man weiß, womit man sich besäuft.
Wir sind angekommen in Lisas Landhaus, und Holger war auch schon da, er war mit einem eigenen Auto gekommen. Er begrüßte mich sehr lieb, das weiß ich noch. Draußen im Hof. Er lächelte und sagte: ›Na, du, Mensch!‹, und rubbelte an meinem Arm herum und wurde ein bisschen verlegen.
Ernst, Sophie und ich haben den Kofferraum ausgepackt mit den Lebensmitteln und den Getränken, und Holger stand dabei und guckte zu, und dann fiel sein Blick auf ein wahnsinnig verrostetes Fahrrad, das an der Hauswand lehnte und zwei platte Reifen hatte. Er rief ins Haus zu Lisa: ›Sag mal, soll das kaputte Fahrrad denn den ganzen Winter hier draußen stehen?!‹ Und Lisa antwortete aus der Küche, ja, es wär egal, das wär so kaputt und rostig und die Bremsen würden auch nicht mehr gehen, das solle bis zum nächsten Sperrmüll da stehen bleiben.
Wir haben die Lebensmittel zu Lisa in die Küche getragen, die schon in Kochschürze dastand und Brot buk. Sie strahlte mich an, hocherfreut, und lachte und kam auf mich zu und rubbelte mir den Arm und sagte: ›Na, Mensch, du!‹
Dann habe ich mich an den Lammbraten gemacht. Sophie stand neben mir und notierte auf Ernsts ausdrücklichen Wunsch das Rezept, damit es der Nachwelt erhalten bleibt. Dann war das Lamm im Ofen, und wir deckten im Esszimmer den Tisch und machten die erste Flasche Champagner auf. Der war schon lecker, und ich hatte recht schnell einen Schwips, weil ich noch gar nichts gegessen hatte seit dem Frühstück. Ich schaute mir Lisa an und fragte mich, ob sie wohl etwas damit zu tun hatte, dass Dieter nicht mehr bei mir aufgekreuzt war, ob sie ihm vielleicht verboten hatte, mich weiterhin zu sehen, wenn er seinen Job nicht verlieren wollte.«
»Warum haben Sie sie nicht gefragt? Sie hatten doch nichts mehr zu verlieren.«
»Ich nicht, aber Dieter. Ich dachte, schon wenn ich
frage
, kann ich Dieter
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