Hendrikje, Voruebergehend Erschossen
verstaucht, als sie nach der letzten Stunde gegen die Wände getreten hat. Sie lässt sich umständlich in ihren Sessel fallen und schmeißt der Palmenberg einen Blick zu, der klarstellt, dass sie dazu nicht befragt werden will.
»Ich spring gleich rein. Holger lag tot am Boden. Er hatte keinen Puls mehr, und als Lisa ihm ihren Chanel-Puderdosen-Spiegel unter die Nase hielt, beschlug der nicht.
Es war lange still, und dann stand Ernst vom Boden auf, wo wir alle um Holger herum gekniet hatten, und sagte zu mir: ›Da siehst du, was du angerichtet hast.‹ Sophie heulte und tauchte in Ernsts Armen unter, und Lisa warf mir einen Blick zu, von dem ich heute noch nicht weiß, warum
der
mich nicht getötet hat.
Lisa überlegte, was nun zu tun sei. Holger hatte schließlich keinen Abschiedsbrief hinterlassen. Andererseits würde ihn niemand so schnell vermissen, außer seinen Eltern vielleicht in der Lüneburger Heide. Darum untersuchte Lisa erst mal Holgers Handy, das sie in seiner Jackentasche fand, und erforschte die Liste seiner gespeicherten Nummern. Sie fand den Eintrag ›Mama‹ und rief die Nummer auf, und das war Gott sei Dank eine Handynummer, so dass man der Mutter eine SMS schicken konnte. Und das tat Lisa sofort. Sie schrieb – so als wäre sie Holger – er sei überraschend zu einem Übersetzer-Kongress in Moskau eingeladen worden und würde mindestens 10 Tage fort sein.
So hätten wir, meinte Lisa, ein bisschen Luft, um uns was einfallen und Holger zur Not in Russland verschütt gehen zu lassen. Lisa schickte die SMS ab, und nun stellte sich die Frage, wohin mit Holger, wenn wir schon 10 Tage Zeit hatten, uns was einfallen zu lassen.
Tja, also, das hört sich jetzt nicht gut an, aber Ernst und Lisa plädierten irgendwann dafür, ihn in Lisas Gefrierkühltruhe im Keller zu legen – vorübergehend. Wir sind in den Flur, da hat Lisa einen Teppich zur Seite gerollt und die Bodenklappe darunter aufgeklappt. Von hier ging eine Stiege sehr, sehr steil in den Keller hinunter. Wir sind zuerst alle in den Keller geklettert, um die wirklich riesige Kühltruhe auszuräumen. Die war voll mit Gänsen, Flugenten und Gefrierspinat, das musste alles raus, alles auf einmal und Lisa ärgerte sich mächtig darüber, dass das alles nun auftauen und verderben würde.
Dann war die Truhe leer und wir sind wieder alle nach oben, um Holger zu holen. Wir hatten ihn, ehe wir ihn oben allein ließen, wieder richtig mit seinem Stuhl hingesetzt, wir wollten ihn ja nicht einfach so am Boden herumliegen lassen, und so saß er da stoisch am Tisch und harrte seines Schicksals. Ernst hat es geschafft, ihn zu schultern, und ist mit ihm langsam und vorsichtig diese steile Kellerstiege hinuntergeklettert, während Lisa an der Bodenklappe kniete und Holger immer ein bisschen drückte und schob, damit er nicht stecken blieb. Ernst war unten, Lisa ging hinterher. Dann kam Sophie und dann ich. Es war relativ eng da unten und die Kellerdecke war so niedrig, dass ich immer noch halb auf der Stiege stand, als Ernst und Lisa den Holger in die Gefriertruhe legten.
Dann haben sie den Deckel geschlossen und Holger lag definitiv auf Eis. Lisa schaute zitternd auf die Spinatschachteln und Flugenten, die am Fußboden lagen, und Ernst schnaufte aus, wischte sich den Schweiß von der Stirn, nahm Sophie in den Arm und schaute dann zu mir hoch. Auch das war ein Blick, von dem ich glaubte, er könne mich direkt zu Holger ins Eis befördern, und Ernst drohte:
›So, Hendrikje. Und nun zu dir.‹
Da kriegte ich Angst. Ich erinnere mich sehr genau, dass mir schlagartig die Knie zitterten. Ich sah, wie Ernst Sophie behutsam aus seinen Armen entließ und bedrohlich direkt auf mich zukam. Da bin ich wie der Blitz die Stiege hochgerannt. Ich weiß noch, dass ich bei jeder einzelnen Sprosse fürchtete, mit meinen hohen Absätzen hängen zu bleiben, aber wie durch ein Wunder kam ich ohne auszurutschen oben an. Ich bin raus aus der Bodenluke, habe die schwere Tür vom Boden gerissen und die Luke geschlossen, eine Millisekunde, ehe Ernst sie erreichte, ich weiß noch, dass es beim Schließen der Luke dotzte, das war Ernsts Kopf, so nah war er schon hinter mir. Ich konnte die Luke nur schließen und mit dem Eisenriegel verriegeln, weil ich mich draufstellte.
Ich hab also die Luke verriegelt, den Teppich drübergelegt und bin rausgerannt, ohne meine Jacke mitzunehmen, so panisch war ich und so heiß war mir auch. Ich sah mich im Hof um, da standen die Autos, aber
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