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Hendrikje, Voruebergehend Erschossen

Hendrikje, Voruebergehend Erschossen

Titel: Hendrikje, Voruebergehend Erschossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Purschke
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…«
    »Ja, genau.«
    »Das heißt also, dass Ernst Ihr Sorbet vergiftet hatte, das Sorbet, das dann Holger in die Finger bekam …«
    »Ja, genau. Ernst hatte sein Versprechen gehalten, Holger hat nichts gemerkt, es ging zu schnell. Und ich hätte auch nichts gemerkt.«
    »Wo hatte Ernst so ein tödliches Gift her? Das ja wohl auch völlig geschmacksneutral war?«
»Also, das stellte sich erst später bei meiner Verhandlung heraus. Ernsts Copyshop ist am Sternschanzenpark, und der Sternschanzenpark ist voll mit Süchtigen und Dealern. Gegenüber vom Copyshop ist eine Apotheke, in der kriegen die Süchtigen auf Rezept täglich ihr Metadon. Wie sich herausstellte, ist es unter den Süchtigen ziemlich üblich, dieses Metadon wieder zu verkaufen, und zwar an nicht-süchtige Leute, die damit einen vermeintlich ungefährlichen Trip schmeißen wollen. Von dem Geld kaufen sich die Süchtigen wieder echtes Heroin. Wer aber als nichtsüchtiger Mensch das Metadon auch nur ein bisschen überdosiert, erlebt keinen ungefährlichen, sozusagen ›gesunden‹ Trip, sondern bringt sich um.«
    »Das heißt, man kann sich mit Metadon
töten
!?«, fragt die Palmenberg ungläubig.
    »Allerdings. In Holgers Blut fand man später eine Dosis, die gereicht hätte, einen Süchtigen drei Tage lang zu substituieren.«
    »Und das wusste Ernst, dass man mit Metadon töten kann …?«
    »Ja, das muss er gewusst haben. Ich weiß nicht, woher, ob er das mal in der Zeitung gelesen hat oder ob die Süchtigen ihm das erzählt haben, wenn sie mal zum Fotokopieren in seinen Laden kamen. Keine Ahnung.«
    »Was sollten denn Drogensüchtige zu fotokopieren haben?«, fragt die Palmenberg. »Zeugnisse?«
    »Keine Ahnung.«
    Die Palmenberg nickt und überlegt sehr, sehr lange.
    »Oh Gott, das ist ja gespenstisch … Dann sind ja an diesem Abend nicht Sie gestorben, sondern Ihr alter ego …«
    »Mein
alter ego

    »Ja. Holger. Lieb und fleißig, fleißig und lieb. Und nicht in der Lage, einmal laut genug ›Nein‹ zu sagen.«
»Also, Moment mal, alles was recht ist«, empört sich Hendrikje, »das trifft auf mich nicht zu. Ich habe Ihnen doch gerade erzählt, dass ich an diesem Abend nichts anderes gemacht habe, als ›Nein‹ gesagt!«
    »Ja, im Angesicht des sehr nahen Todes. Das ist einfach.«
    »Und weil ich ›Nein‹ gesagt habe, hat es Holger erwischt! Holger könnte noch leben!«
    »Ja, wenn Sie Ihr Sorbet gegessen hätten!«
    »Sehen Sie!«, ruft Hendrikje. »Sie sehen das auch so! Ich habe mich nicht an eine Verabredung gehalten, und darum musste Holger sterben! Der Richter hat zwar später gesagt, Holgers Tod geht volle Kanne auf Ernsts Konto: Er hat das Metadon in das Sorbet getan und tatsächlich keinem was gesagt. Die anderen waren nicht eingeweiht, sie vertrauten ganz und gar auf Ernst und sein Versprechen, mich schmerzlos ins Jenseits zu befördern, aber stellen Sie sich das mal vor: Mit ein bisschen Pech hätte es genauso Sophie treffen können … Und wenn ich nicht diese fixe Idee gehabt hätte, sterben zu wollen, und dann plötzlich die fixe Idee,
nicht
mehr sterben zu wollen, dann würde Holger noch leben!«
    »Also, Sie glauben, Holger umgebracht zu haben«, stellt die Palmenberg fest.
    »Allerdings.«
    »Ich sag Ihnen was, Hendrikje: Holger hat sich selbst getötet. Er war bereit, Sie an Ihrem vermeintlichen Sterbeabend zu begleiten, obwohl er als Einziger die Idee richtig scheiße fand.
Ja, aber Hendrikje hat nicht mal eine unheilbare Krankheit,
hat er gesagt.«
    »Ja, das stimmt.«
    »Und trotzdem saß er dabei und schlug sich den Bauch mit Lammbraten und Champagnersorbet voll und machte sich nur Sorgen um Lisas rostiges Fahrrad im Hof. Dämmert Ihnen da nichts?«
»Nee.«
    »Ich sag Ihnen was, Hendrikje, aber das bleibt unter uns oder ich verliere meinen Job: Wer sich so benimmt, der gehört auch gestorben.«
    Fassungslos schaut Hendrikje die Palmenberg an. Es schießen ihr schmerzhaft dicke Tränen in die Augen. Sie sagt: »Nein!« und fängt laut und geschüttelt an zu heulen.
    »Nein! Nein!«, schreit sie der Palmenberg ins Gesicht, springt auf und geht zur Tür. Sie reißt die Tür auf und schreit von hier aus noch mal: »Nein! Nein! Nein!«
    Sie knallt die schwere Stahltür laut scheppernd zu und läuft den Gang aus grauem Waschbeton entlang und tritt gegen die Wände, tränennass und heult immer nur: »Nein!« und immer nur wieder: »Nein!«

9
Hendrikje humpelt in die nächste Stunde, denn sie hat sich den Fuß

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