Hendrikje, vorübergehend erschossen
nur im Knast.‹
›Na, sag ich doch die ganze Zeit‹, stöhnte Lisa. ›Ein juristisch einwandfreier Abschiedsbrief ist ganz wichtig!‹ Und Ernst
nickte: ›Hmhmm.‹
Ich sagte: ›Oh Mensch, Ernst, wenn das so ’ne sichere Sache ist …‹ Aber er schüttelte den Kopf und meinte: ›Nee, das Risiko
ist mir echt zu groß. Wirklich wahr, Hendrikje, ich würd dir gerne helfen, aber so … und ohne jede Absicherung … außerdem
ist Sophie vielleicht schwanger.‹
Sophie heulte sofort los, und Ernst gab ihr wieder ein Taschentuch. Dann beruhigte sie sich und lächelte und sagte, dass sie
zwar noch keinen Ultraschall bei noch keinem Arzt gemacht hätte, aber der B-Test aus der Apotheke, der wär schon mal positiv,
und irgendwie würde sie es auch spüren, sie hätte es in jeder Pore.
Jetzt verstand ich auch, warum Ernst sich so zierte, das versteht ja jeder. Ich wusste zwar immer noch nicht, was er sich
unter ›Absicherung‹ vorstellte, aber ich dachte plötzlich, vielleicht fällt es ihm leichter, wenn er was Schönes dafür bekommt,
wenn er mir hilft, eine Art Bezahlung, einen Gegenwert für das hohe Risiko. Und ich fragte ihn, ob er nicht, wenn dann alles
gut gegangen wäre und vorbei wäre, |72| also, dann würde ich ja meine Wohnung nicht mehr brauchen, und ob er die dann nicht haben wollte. Denn schließlich ist das
ja mit Wohnungen in Hamburg …«
»Augenblick mal bitte«, unterbricht die Palmenberg. »Ernst wurde Vater?«
»Ja, also …, eh, ja.«
»Aber zu Ihnen hatte er gesagt, Weihnachten bei der Oma feiern wäre … Was hatte er da gesagt?«
»Er hatte gesagt, dass er auf so konservatives Zeug wie Weihnachten bei der Omi keinen Bock hätte und als Nächstes würde ich
ihn wohl heiraten und Kinder von ihm haben wollen.«
»Ja, richtig. Und das hat Sie nicht geärgert, dass Sophie jetzt von ihm und offenbar ohne Widerrede ein Kind bekam? Und Sie
bieten ihm sogar noch Ihre Wohnung an? Damit er da friedlich seine Kinder großzieht, die er mit Ihnen nicht gewollt hätte?«
Hendrikje stutzt und glotzt die Palmenberg verständnislos an. Die Palmenberg hakt nach: »Bitte beantworten Sie diese Frage!«
»Ich …« Hendrikjes Kopf ist ganz leer. »Sie wissen doch, wie das in Hamburg mit Wohnungen ist. Man kriegt ja keine, und wenn
doch, dann kann man sie nicht bezahlen. Also ich kenne Leute, die sind aus Hamburg nur deswegen weggezogen, weil sie sich
die Wohnung nicht mehr leisten konnten. Das ist hier wie in München. Und meine Wohnung hatte 5 Zimmer und zwei Balkone, und
weil die Omi da über 40 Jahre gewohnt hatte, war die Miete sehr billig, also die Wohnung war wohl auch runtergewohnt, aber
wenn die schön renoviert würde, dann könnte man da sehr billig wohnen, wenn man dem Vermieter nicht gerade aufs Auge drückt,
dass man ein neuer Mieter ist, aber so was lässt sich ja tricksen.«
|73| »Das beantwortet meine Frage nicht«, sagt die Palmenberg. »Ich wollte wissen, warum Sie ausgerechnet Ernst Ihre Wohnung überlassen
wollten.«
»Na, damit er mir hilft«, sagt Hendrikje. »Es war mir ernst mit dem Sterben. Ich hatte nichts, also ich meine: wirklich gar
nichts, worauf ich mich hätte freuen können, aber dafür so viel Scheiße aufzuräumen, dass ich dachte, ein Menschenleben reicht
dafür sowieso nicht aus. Es war nicht mehr zu schaffen, außer vielleicht, wenn ich 150 Jahre alt werde. Und selbst dann hätte
ich immer noch keinen Freund gehabt, und das wünschte ich mir sehr, einen Freund. Aber wer würde wohl mein Freund sein wollen,
wo ich doch so viel Scheiße an der Backe hatte? Nur Probleme. Und nicht zu vergessen, dass ich immer nach Terpentin rieche,
wer soll das mögen?«
Die Palmenberg reibt sich die Stirn und guckt auf ihren Block. »Also, dann haben Sie die Wohnung als eine Art Tauschmittel
einsetzen wollen?«
»Ja, das kann man so sagen. Ein Tauschmittel für das Ticket, das Ernst mir besorgen konnte, wenn er nur wollte. Und er wollte
plötzlich. Er fand das einen sehr vernünftigen Vorschlag. Er sagte, die Wohnung wäre schon richtig klasse, aber das Risiko
… Da machte ich einen Witz, um ihm auf die Sprünge zu helfen, und sagte, wenn er die Wohnung haben will, dann
muss
er mir geradezu helfen, sonst wird sie ja nicht frei. Da lachte er und Lisa lachte auch und Sophie lächelte unter Tränen,
nur Holger sagte: ›Ja, aber das geht jetzt doch entschieden zu weit.‹«
»War das alles, was Holger dazu gesagt hat?«, will
Weitere Kostenlose Bücher