Hendrikje, vorübergehend erschossen
ihn mal ein Mensch ausreden
lässt und er einen einzigen Satz sagt, der nicht mit »ja, aber …« anfängt. Das waren nun meine Freunde, dachte ich. Und: Ich
bin allein, ob die hier sitzen oder nicht. Wenn jetzt wenigstens |69| die Omi reinkäme und alle rausschmeißen würde. Aber die Omi kam nicht rein und schmiss niemanden raus und es tat mir weh,
dass sie in einem eiskalten Grab lag, sie, die doch immer nur gefroren hatte.
Plötzlich hörte ich mich sagen: ›So möchte ich auch sterben, so wie der Professor. Im Kreis von Freunden, können wir nicht
so was machen?‹
Kaum hatte ich gemerkt, dass ich selbst die Sprecherin dieses Textes gewesen war, da erwartete ich auch schon eine lange Stille,
aber nix. Lisa rief voller Empörung: ›Jahaa! Am Ende noch bei mir draußen in Schleswig?!‹ Sie meinte ihr Landhaus, in dem
sie ja noch wohnte, bis das Loft fertig war.
›Gute Idee‹, sagte ich.
Holger sagte: ›Ja, aber man kann doch sein Leben nicht so einfach wegschmeißen!‹
Und Sophie brach plötzlich in Tränen aus und weinte: ›Oh Gott, mein Vater wartet seit zwei Jahren auf eine neue Niere!‹, aber
Ernst tröstete sie und gab ihr sein Taschentuch und sagte: ›Also verbietet sich schon mal der Sprung vom Philosophenturm.‹
Holger sagte: ›Ja, aber ein Selbstmord ist eine private Sache, das muss man schon alleine machen!‹, und Ernst sagte zu ihm,
während er auf mein blaues Auge zeigte: ›Du siehst doch, was dann passiert.‹ Und Lisa schnaufte: ›Ich finde es unglaublich
von dir, so was von uns zu verlangen!‹ Dabei hatte ich gar nichts verlangt, sondern nur mal ’ne Idee geäußert.
›Spielen wir den Gedanken doch einfach mal durch‹, sagte Ernst. ›Wie soll’n das gehen? Steks bauen können wir jedenfalls alle
nicht.‹ Und Lisa fiel ein: ›Beihilfe zum Selbstmord ist nicht strafbar, aber da kommt es natürlich sehr auf den Richter an,
was der unter Beihilfe versteht und so.
Machen
|70| muss man es schon selbst. Und das muss beweisbar sein. Ich hab keine Lust, dass ich dann hinterher dasteh’ und mich verantworten
muss, keine Lust, ehrlich nicht.‹
›Also, Hendrikje‹, fuhr Ernst unbeirrt fort, ›wie stellst du dir das vor?‹ Und ich antwortete: ›Ich weiß nicht, wie ich das
hinkriegen soll, ich hab’s doch schon mal versemmelt.‹ ›Aber dein Leben versemmelst du auch‹, sagte Ernst und das stimmte
ja nun.
›So was würden wir dann schon schriftlich brauchen‹, fiel Lisa ein, ›du müsstest einen richtigen Abschiedsbrief hinterlassen,
aus dem hervorgeht, dass du freiwillig aus dem Leben scheidest. Und dass du diesen Entschluss bei klarem Verstand gefasst
hast.‹
›Ja, aber sie
ist
nicht bei klarem Verstand!‹, rief Holger, und ich ranzte ihn an, was denn das nun für eine Unverschämtheit wäre. Und Holger
sagte: ›Weil niemand in einer solchen Situation bei klarem Verstand sein kann!‹
Und da sagte Lisa: ›Im Gegenteil, gerade das Unglück ist es, was den Verstand schärft.‹
Je länger sie redeten, umso mehr wollte ich sterben. Ernst sinnierte vor sich hin und sagte dann, er wüsste schon einen Weg,
wie er mir in der Sache helfen könnte, aber der sei für ihn selbst sehr gefährlich, damit könnte er, wenn es schief ginge,
sich selber sehr belasten. Ich wollte wissen, was das wäre, und er sagte, es wäre eine sehr einfache, absolut schmerzfreie
Möglichkeit, mir da zu helfen, aber sehr riskant für ihn. Sophie rief: ›Ich will das gar nicht wissen!‹, aber die beiden anderen
wollten und forderten Ernst mehrmals auf, zu sagen, woran er denn da dächte, aber der schüttelte nur den Kopf und sagte: ›Nee,
ich würde auch euch nur belasten.‹
›Du kannst es mir ja alleine sagen‹, schlug ich vor, und Ernst schüttelte den Kopf: ›Dir sowieso nicht, denn sonst ist |71| der Witz weg. Du sollst es ja gar nicht merken, wenn’s passiert, es soll dich überraschen und dann so schnell gehen, dass
du’s gar nicht merkst. ’ne sehr humane Methode.‹
Ich fand, dass sich das immer besser anhörte, und wurde natürlich immer neugieriger. Ich fragte Ernst: ›Sag mal, ist das dein
Ernst, du kennst so ’ne tolle Methode?‹
Ernst nickte sehr ernst und meinte: ›Wenn ich dir auf diese Weise helfe, dann ist das Risiko dermaßen hoch für mich, dass,
wenn irgendwas schief geht
danach
– denn an der Sache selber kann überhaupt nichts schief gehen –,
ich
das nicht überlebe. Also nicht in Freiheit, sondern
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