Hendrikje, vorübergehend erschossen
die Palmenberg wissen.
»Ja, das war alles, was hätte er sonst noch sagen sollen?«
»Er hätte unter Protest den Raum verlassen können.«
»Nein, er blieb bei uns.«
»Er hat nicht gesagt: ›Komm, Hendrikje, wir hauen hier |74| ab, ich bringe dich in die Lüneburger Heide zu meinen Eltern, bis du wieder bei klarem Verstand bist?‹«
»Nein, natürlich nicht. Das wäre doch auch ein bisschen zu viel verlangt gewesen, jetzt auch noch Holgers Eltern auf den Wecker
zu fallen. Und es hätte doch auch an der Situation nichts geändert.«
Die Palmenberg seufzt. »Gut. Weiter.«
»Ernst war einverstanden. Er sagte: ›Dann schulden wir jetzt Hendrikje ein schönes, schönes Abschiedsfest.‹ Und als Lisa ihn
dafür schräg anguckte, sagte er zu ihr, um sie zu beruhigen: ›Selbstverständlich mit einem juristisch einwandfreien Abschiedsbrief,
und wenn du, Lisa, uns dein Haus in Schleswig-Holstein zur Verfügung stellst, wär’s nobel von dir.‹
Lisa schnaufte verächtlich, warf sich in ihrem Stuhl zurück, schüttelte den Kopf und sah mich an: ›Also ich finde das unglaublich,
so was von mir zu verlangen!‹
Und Ernst sprang sogar für mich in die Bresche und sagte: ›Lisa, niemand hat etwas von dir
verlangt
, Hendrikje hat uns nur in einer schwierigen Angelegenheit um Hilfe gebeten. Sie ist schließlich unsere Freundin.‹
›Ja, aber sie hat nicht einmal eine unheilbare Krankheit …!‹, sagte Holger.
›Aber sie ist alt genug‹, sagte Ernst.
›Ja, aber es ist sowieso Blödsinn, was ihr da erzählt, und auch nicht zu Ende gedacht!‹, sagte Holger. ›Was machen wir denn,
wenn Hendrikje dann tot ist? Dann haben wir eine echte Leiche, und was soll damit geschehen? Wo soll die versteckt werden?‹
Er schaute alle Anwesenden bauernschlau an und erhielt sofort von Lisa die Antwort: ›Holgerchen, du bist es hier, der nicht
zu Ende denkt. Warum, glaubst du wohl, rede ich hier seit ’ner Stunde von einem juristisch einwandfreien Abschiedsbrief? In
dem klar steht, dass Hendrikje |75| sich aus freien Stücken das Leben nimmt? Weil, wenn wir so ein Dokument haben, wir mit der Entsorgung der Leiche überhaupt
nichts zu tun haben, sondern nach geglücktem Exitus einfach zum Telefonhörer greifen und schwer erschüttert die Polizei anrufen!‹
›Naja, aber dann‹, sagte Ernst und schaute Lisa an, ›dann kann man es wirklich überall machen –‹
Und Lisa schaute Ernst an und schaute auch wieder weg, zog an ihrer Zigarette und blies den Rauch durch die Nase und nickte
dann ganz leicht und versonnen vor sich hin.
Hendrikje findet, dass es ein ganz und gar leerer Blick ist, mit dem die Palmenberg nun aufschaut.
Leer
, so wie Ernsts Blick einmal
tonlos
war. Aber die Palmenberg hat noch eine Frage, das kann Hendrikje richtig sehen, wie der dahingegossene, leicht schläfrige
Körper der Palmenberg sich strafft, wie ein anderes Licht in ihren Augen leuchtet und wie sie beginnt, sanft den Kopf hin-
und herzuwiegen.
»Das also war Ihr 34. Geburtstag mit der Quersumme 7?«
»Ja genau.«
»Am Anfang Ihrer Erzählung sagten Sie, dass Sie gerade am Kochen waren, als Ihre Freunde Sie überraschten.«
»Ja.«
»Was gab’s denn?«
»Ist das wichtig?«
»Das will ich von Ihnen wissen.«
Hendrikje könnte jetzt gut kotzen. Da erzählt sie der Palmenberg vom entscheidendsten und folgenschwersten Abend ihres bisherigen
Lebens, und die will das Menü wissen.
»Also das finde ich jetzt echt komisch, das … ehm, das irritiert mich jetzt aber schon. Also Entschuldigung. Ich erzähle Ihnen
eine Stunde lang vom bisher entscheidendsten |76| Abend meines bisherigen Lebens, und Sie wollen das Menü wissen …?«
»Sehr gern, ja.«
Hendrikje schweigt. Also alles, was recht ist. Hendrikje schweigt und sieht auf ihre Schuhspitzen, derbe, etwas zu große Männerschuhe,
Typ kanadische Waldbrandaustreter, und dann gibt sie sich einen Ruck und steht ganz behende auf. Und geht zur Tür und dreht
sich in der Tür noch einmal um und sagt sehr beleidigt zur Palmenberg:
»Hühnersuppe.«
Und die Palmenberg grinst.
|77| 7
»Ich hatte richtig gute Laune. Ich war …
heiter
. Geradezu euphorisch, ganz beschwingt und alles ging leicht. Wir hatten verabredet, am kommenden Wochenende in Lisas Landhaus
mein Abschiedsfest zu feiern, ich hatte also noch eine Woche zu leben, dachte ich. Und deshalb war alles so einfach. Es hat
mir richtig Spaß gemacht, im Café zu arbeiten, die Gäste waren nett,
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