Hendrikje, vorübergehend erschossen
heraus, und ich muss die immer schneller zu hohen
Türmen auftürmen, und das Geklapper von dem Geschirr macht einen Höllenlärm.
|143| Als ich aufwachte, lag ich in einer kleinen Zelle, weiß getüncht und mit Gittern vor dem Fenster, und von draußen hörte ich
es klappern: Da kam also diesmal das Geräusch her, das mich zu dem Traum inspiriert hatte: Es war der Schließer, der den Flur
entlanglief und alle Zellen aufschloss. Na ja, und langsam dämmerte mir der Zusammenhang, ich war wohl in einem Gefängnis,
in einer schönen, kleinen, gemütlichen Einzelzelle.
Der Schließer schloss auf und kommandierte mich zum Frühstück in einen großen mit Neonlicht beleuchteten Raum im Souterrain
des Gebäudes, wo die Fenster unter der Decke klebten, und so sahen dann auch die anderen Frauen aus, die da in Untersuchungshaft
saßen: grün im Gesicht, mit lila Lippen. Hübsche Gesellschaft, die ich mir da ausgesucht hatte.
Nach dem Frühstück lernte ich meine Pflichtverteidigerin kennen, die Frau Kogge. Sie besuchte mich im Untersuchungsgefängnis
ein paar Mal und hörte sich die ganze Geschichte an. Von meinen verbrannten Bildern und von Paula, von den Schulden, von Ernst
und der Omi und von Holger, der meinen Selbstmord vereitelt hatte. Wie sich herausstellte, war Frau Kogge die erste außenstehende
Person, die von Holgers Tod erfuhr.
Holgers Eltern hatten wohl eine Vermisstenanzeige aufgegeben, aber niemand hatte Holger gefunden. Und so hatte irgendein zartfühlender
Polizist den Eltern erklärt, dass sie vielleicht einfach nur begreifen müssten, dass ihr Sohn Holger ein erwachsener Mann
von dreiunddreißig Jahren wär, der vielleicht länger in Russland geblieben wäre und vielleicht einfach keine Lust hätte, sich
zu melden. Also stellen Sie sich das bitte vor: Es war mittlerweile Mitte März, und Holger lag seit Januar auf Eis.
Die Frau Kogge sagte, genau wie später der Richter auch, |144| Holgers Tod geht volle Kanne auf Ernst und die Tötung von Ernst sei reine Notwehr gewesen. Deshalb wollte sie auf Freispruch
plädieren, was sie dann später auch tat.
Dann wollte sie wissen, ob Ernst mich da oben auf dem Dach angegriffen hätte, ob er vielleicht eine Bewegung gemacht hätte,
von der ich hätte glauben können, sie sollte mich aus dem Gleichgewicht bringen, und ich sagte: ›Nein, hat er nicht. Ich war
auch gar nicht so leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen, ich saß nämlich ganz gut da oben. Ernst war die ganze Zeit über
mit seinem eigenen Gleichgewicht beschäftigt.‹
Da sagte die Frau Kogge, wenn Ernst aber tatsächlich nicht mal eine Handbewegung gemacht hat, von der ich hätte annehmen können,
dass er mich damit schubsen wollte, dann sähe das nicht gut aus mit Notwehr. Das wäre dann doch ein Totschlag, den ich da
begangen hätte. Da hab ich ihr lang und schmutzig auseinandergesetzt, dass es doch eine Notwehr war, denn allein die Tatsache,
dass Ernst überhaupt zu mir aufs Dach gekommen war, hätte ich doch als Drohung empfinden müssen. Wo er doch, falls er nur
mit mir hätte reden wollen, auf dem Dachboden hätte bleiben und durchs Fenster mit mir reden können. Wenn er nicht gewollt
hätte, dass ich springe, hätte er ja nicht aufs Dach klettern müssen.
Das wäre nicht zu beweisen, sagte Frau Kogge. Geradeso gut hätte er aufs Dach klettern können, um mich zu retten.
Da habe ich gesagt, dass er mir doch
geraten
hat zu springen, weil das das Beste für meinen Seelenfrieden wär und ihm wär’s egal.
Daraufhin wollte die Frau Kogge wissen, ob es für ein solches Gespräch Zeugen geben würde, und die gab es nicht, denn Lisa
und Sophie waren uns keineswegs auf den Dachboden gefolgt, sondern hatten hübsch unten gestanden und den Ausgang bewacht. |145| Es kam zur Verhandlung. Ich saß auf der Anklagebank und sagte, was ich zu sagen hatte, nämlich die Wahrheit. Dass Holger an
dem Gift gestorben war, das Ernst für
mich
beschafft hatte, und dass man Holger in meinem Beisein in die Gefrierkühltruhe in Lisas Landhaus in Schleswig-Holstein gesteckt
hatte. In der Zwischenzeit hatte man Holgers Leiche obduziert und das mit dem Metadon kam heraus.
Ich erzählte dem Richter, dass ich an jenem Abend, an dem Holger starb, fliehen konnte, und dass ich auch Anlass zur Flucht
gesehen hätte, weil Ernst, nachdem Holger in der Truhe verstaut war, sich zu mir auf der Stiege umdrehte und:
So, Hendrikje, und nun zu dir
… gesagt hätte und dass mir das
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