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Hendrikje, vorübergehend erschossen

Titel: Hendrikje, vorübergehend erschossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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einen Weg gefunden, sich auf diesem Dachgiebel einen etwas
     besseren Stand zu verschaffen, indem er eben nicht mehr wie ein Seiltänzer mit beiden Füßen auf dem Kamm des Giebels stand,
     sondern die Füße direkt neben dem Kamm links und rechts in die Dachschindeln stemmte. So hatte er zwar eine schräge Fläche
     unter seinen Füßen, aber eben auch eine größere Fläche. So stand er ganz fest und sagte: ›Du darfst natürlich nicht sagen,
     dass ich das Gift besorgt habe, das wird ja wohl in deinen Schädel reingehen. Ich werde Vater!‹ Und dann streckte er die Hand
     aus, so, als wollte er sie mir reichen, damit ich mich daran hochziehen und wir zusammen runtergehen könnten.
    ›Du hast dir im Sternipark Metadon besorgt‹, sagte Ernst, |138| ›mehr brauchst du denen nicht erzählen auf der Bullerei.‹ Er streckte mir immer noch seine Hand hin, aber ich hab die nicht
     genommen, die Hand, irgendwie hab ich ihm nicht mehr getraut. Denn was sollte das jetzt für ein Quatsch mit dem Metadon sein?
     Damals hatte uns ja der Gerichtsmediziner noch nicht darüber aufgeklärt, dass man an Metadon sterben kann.
    Und da hat Ernst seine Hand dann auch wieder weggezogen. Er stand da, als würde er auf was warten, und ich saß da und dachte,
     nee, ich bewege mich hier erst mal nicht weg, nicht so lange Ernst da ist. Ich werde auf gar keinen Fall runtergehen, nicht
     auf dem einen Weg und nicht auf dem anderen, und wenn das bis Mitternacht dauert, mir egal. Ich guckte ihn an, und da stöhnte
     er: ›Mein Gott, Hendrikje, entscheide dich. Ich will hier runter!‹ Und ich hab ihm geantwortet, dass er ja ruhig gehen könnte.
     Und da hat er gesagt, nee, so billig komme ich ihm nicht davon.
    ›Nee, nee, nee‹, sagte er, ›so billig kommst du mir nicht davon.‹ Er holte tief Luft, wie einer, der schon richtig ungeduldig
     ist, und sagte: ›Überleg dir doch mal, was dich erwartet. Wenn du in zwanzig Jahren aus dem Zuchthaus kommst, bist du eine
     alte Frau, die ihre besten Jahre im Gefängnis verbracht hat. Meinst du, es kräht dann noch ein Hahn nach dir? Als Malerin?
     Als Frau? Also selbst, falls du dir bis dahin abgewöhnt haben solltest, immer diese Terpentinfahne um dich zu haben, so dass
     man jedesmal high wird, wenn man dich vögelt …‹ Er schüttelte den Kopf und seufzte: ›Hendrikje.‹ Seine Stimme klang jetzt
     schon wieder fast liebenswürdig, so, wie man jemanden tröstet, der sich jede Woche einmal in den Finger schneidet und der
     sich gerade eben schon wieder in den Finger geschnitten hätte, und genau so schüttelte er jetzt den Kopf und seufzte noch
     mal: ›Hendrikje, Hendrikje …‹
    |139| Und dann lächelte er mich ganz mitleidig an und seufzte: ›Der Name, mit dem man nicht Liebe machen kann …‹«
    »Wie bitte?«, fragte die Palmenberg.
    »Der Name, mit dem man nicht Liebe machen kann.«
    »Was soll das denn heißen?«
    »Wenn Ernst so was sagt, dann heißt das, dass man ›Hendrikje‹ nicht gut stöhnen kann. Also wenn jetzt einer mit mir schlafen
     würde und Lust kriegte, meinen Namen zu stöhnen, dann wäre das eher ein Zungenbrecher.
Hen
– dann dieses
d
– und dann auch noch
riiekche
– also, das lässt sich nicht gut stöhnen.«
    »Aha. Und welcher Name würde sich beispielsweise besser stöhnen lassen?«, fragt die Palmenberg teilnahmslos.
    »Na,
Sophie
zum Beispiel, oder
Maria!
oder
Kate
«, stöhnt Hendrikje zur Demonstration. »Aber wer Hannelore heißt oder Lieselotte oder eben Hendrikje, der lädt zum Schweigen
     ein.«
    »Aha.«
    »Na ja. Jedenfalls hatte ich jetzt irgendwie genug von dieser Party auf dem Dach. Ernst stand da und schüttelte den Kopf und
     dehnte meinen Namen unnötig in die Länge und behauptete, man könnte damit nicht Liebe machen, und ich stützte mich mit den
     Händen fest am Dach ab, um ein bisschen mit dem Hintern zu ihm hinzurutschen. Ich weiß, dass mir sehr kalt war und ich sehr
     sauer war, und ich rutschte also auf dem Hintern ein paar Zentimeterchen näher an ihn ran und dann hab ich einfach beherzt
     beide Arme ausgestreckt und mit beiden Händen gegen seine Knie gedrückt, um ihn weiter weg von mir zu schieben, das war meine
     Absicht, aber Ernst verlor sofort das Gleichgewicht, fiel um und fiel …«
    »Fiel …?«
    »Fiel vom Dach, ja.«

|140| 11
    Die Palmenberg liegt wie üblich entspannt auf ihrer Fernsehliege, ganz das hingegossene Gemälde aristokratischer Schönheit.
     Und Hendrikje kommt durch die Stahltür hinein und sieht

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