Hengstgeflüster (German Edition)
könnte.
Verbannen.
Ausradieren.
Platz für Neues machen. Für ein neues Leben. Mit Gefühlen. Mit einem Schlag fuhr die Seele dieses stolzen Hengstes bis in ihr Innerstes und schrie ihr mit übermächtiger Kraft entgegen: Liebe!
Und Bell wehrte sich, konnte es nicht zulassen. Wieder vernahm sie dieses Gefühl, diese Stimme, die allein entstand durch die Vereinigung zweier stolzer, fast unbeugsamer, aber schussendlich einsichtiger Seelen.
Liebe.
Und da wusste sie es.
Sie verstand.
Lulu gab schon seit geraumer Zeit keinen Laut mehr von sich und aufgrund des hohen Tempos des Pferdes konnte Bell nicht ausmachen, ob der Hund noch lebte. Immer wieder entrangen sich verzweifelte Schluchzer ihrer Kehle. Wie durch einen Schleier hindurch nahm sie den Wagen wahr, der neben sie gesetzt hatte. Menschen winkten, kamen ihr undeutlich bekannt vor. Sie fühlte Schmerzen, glaubte aber, dass diese von Lulu stammten. Vielleicht konnte sie ein wenig von Lulus Qualen auf sich übertragen, um es dem Tier erträglicher zu machen, dachte sie.
Wie von Geisterhand gelenkt, mit unbändiger und beeindruckender Kraft, preschte Tango am hingegebenen Zügel über die trockenen Felder. Nur ein Könner der besonderen Sorte konnte sich bei diesem Ritt ohne Sattel am Pferd halten. Bell schien mit dem Hengst verschmolzen zu sein, eins geworden. Sie war so klein und zierlich, dass sie auf dem kräftigen Tier wie ein kleines Kind wirkte. Schutzlos und zutiefst verwundbar.
Chris traute sich nicht zu Hupen, aus Angst, das Pferd zu erschrecken. So musste er auf dem unebenen Untergrund das gesamte Potential des Wagens ausschöpfen um aufzuholen und neben Pferd und Reiterin zu setzen.
Sein Herz stockte bei ihrem Anblick, als der Cheep auf gleicher Höhe war mit diesen verzweifelten Geschöpfen. Bell war über und über mit Blut bedeckt und schien ihn nicht wahrzunehmen. Aus dem weißen Bündel lugte braunes Fell hervor.
„Bell, Bellona…!“ Jemand rief ihren Namen. Nur schwer kam sie zu Sinnen. Sie musste weiter, schnell, immer schneller, sonst war es zu spät. Zu spät für Lulu, zu spät für sie selbst….
„Tango...“, hörte sie eine tiefe Stimme verzweifelt rufen, „Stopp!“
Das Pferd bremste sich langsam ein. Nein, nicht stehen bleiben, dachte Bell. Immer weiter, schnell weiter, nach Hause…
Sie hörte ein Wimmern. War das Lulu oder sie selbst gewesen? Sie wusste es nicht. Sie hörte Autotüren schlagen und aufgebrachte Menschen rufen. Nichts davon nahm sie wirklich wahr. Bell spürte den Hengst unter ihr heftig schnaufen. Starke Hände hoben sie vom Pferd und nahmen ihr Lulu weg. Ihr Gesicht war tränennass und ihre Hände glitschig. Als sie an sich hinunterblickte sah sie überall Blut. War das Lulus Blut? Lebte die Hündin noch? Das waren ihre letzten Gedanken, bevor sie gnädige Dunkelheit empfing.
Chris war außer sich vor Panik. In seinem gesamten Leben hatte er noch nie solche Ängste ausgestanden, noch nie war er so nah am Abgrund gewesen. Es nahm ihm schier die Luft zum Atmen, als er Bell über und über mit Blut besudelt vom Pferd holte. Sie hatte den Hund in ihr Shirt gewickelt und trug nur ihr Bikinioberteil. Chris drückte Natalia Lulu in die Hände, die entsetzt aufkeuchte, als sie die kleine Hündin auswickelte und ihre tiefen Verletzungen sah.
Bell war vor Erschöpfung in Chris Armen zusammengebrochen. Wo zum Teufel kam das ganze Blut her? Er legte Bell auf den Rücksitz und betastete ihren Körper. Dann besah er ihre Hände und stöhnte hörbar auf vor Ohnmacht.
Ihre Handflächen waren zerfetzt und immer wieder floss neues Blut aus ihren Wunden. Rohes Fleisch hing vor ihnen herab. Meine Güte, hatte sie mit einem ganzen Heer gekämpft?
Natalia gab ihm ein dringliches Zeichen und deutete auf den Hund. Es musste schnell gehen…
Undeutliche Wortfetzen drangen in Bells Bewusstsein. Wer sprach da? „Mario?“, flüsterte sie mit rauer Stimme.
„Er scheint wohl mehr Eindruck auf dich gemacht zu haben, als ich dachte“, vernahm sie einen wohlbekannten Bariton.
Langsam schlug sie die Augen auf. Ihr Kopf schmerzte. Das zuerst undeutliche Gesicht eines Mannes nahm immer deutlichere Konturen an. Zwei hellblaue Augen musterten sie besorgt. Sie fühlte eine Hand, die zärtlich ihre Wange streichelte. Alles schmerzte so sehr.
„Was…?“, begann sie. Schlagartig kam die Erinnerung zurück. „Lulu, oh nein, Lulu…!“, rief sie. Sie wollte sich die Tränen von ihren Wangen wischen und sah, dass ihr
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