Hengstgeflüster (German Edition)
habe“, fügte sie hinzu, „außerdem sehen vier Augen mehr als zwei.“
Chris startete unter lautem Dröhnen den Wagen an und rollte aus der Einfahrt. Natürlich hatte Natalia Recht. Es ging um Bells Sicherheit. Die Differenzen zwischen ihm und seiner Mutter konnten wirklich bis später warten.
Schweigend fuhren sie die stark befahrene Landstraße entlang, die aus Cascine di Buti hinaus nach Bientina führte und bogen schließlich auf die schmalere Straße Richtung Altopascio ab.
„Wir mussten in Oridolpho übernachten, dass dürfte etwa ein Suchgebiet von 25 Kilometer sein“, sagte er schließlich. „Falls sie aber in die falsche Richtung unterwegs ist….“ Er zuckte hilflos mit den Schultern und überdauerte die Panik, die ihn immer wieder überrollte.
„Sie ist sicher querfeldein unterwegs, wegen Tango…“, meinte er und wischte sich mit einer fahrigen Geste übers Gesicht.
„Wir werden sie sicher finden“, versuchte Natalia ihn zu beruhigen. Sie konnte es nicht mit ansehen, wenn ihr Junge solche Qualen litt. Doch auch an ihr nagte das Gefühl der Ungewissheit und Sorge für eine junge Frau, die sie erst seit so kurzer Zeit kannte und doch so lieb gewonnen hatte. Bell war bereits wie eine Tochter für sie.
Eine Stunde später erreichten sie Oridolpho, drehten eine Runde am Marktplatz und fuhren, nach einer kurzen Unterredung mit dem Dorfwirt Toni, wieder zurück Richtung Bientina. Chris hielt an einer Anhöhe, von wo aus sich ihnen eine gute Aussicht über das darunter liegende Gelände bot.
„Wäre ich an Bells Stelle gewesen“, sagte er und ließ seinen Blick prüfend über die Landschaft schweifen, „wäre ich da lang geritten.“ Er zeigte zu einer Schneise, an der ein kleiner Weg entlang führte. „Wir fahren dort hinunter und den Weg entlang. Vielleicht müssen wir dann zu Fuß weitergehen.“
Sie stiegen wieder in den Wagen und Chris gab Vollgas.
Bell duckte sich durch die tief hängenden Äste hindurch und Tango wich geschickt den dicht beieinander stehenden, knorrigen Bäumen aus. Das grauenhafte Jaulen war zu einem schmerzvollen Klagen geworden, das alle paar Sekunden durch das Dickicht hallte. Bells Herz klopfte zum Zerspringen und in ihrem Magen hatte sich ein schmerzvoller Knoten gebildet. Sie näherten sich den Schreien und Bell sprang vom Pferd und lief zu Fuß weiter. Der Hengst folgte ihr unaufgefordert, war bereits ihr treuer Gefährte. In der bedrückenden Dunkelheit des dichten Waldes nahm sie eine Bewegung wahr. Sie stöhnte entsetzt auf, als herzzerreißendes Wimmern von dort erklang. Ihr Herz raste unkontrolliert. „Lulu“, hilflos rannte sie an die Stelle, an der sie die Hündin vermutete. Zögern trat sie näher und wappnete sich innerlich. Sie konnte es nicht mit ansehen, wollte gar nicht wissen, was sie dort erwartete.
Lulu lag auf der Seite, richtete sich aber wimmernd ein Stückchen auf, als sie Bell hörte. Ein Schmerz, wie von einem glühenden Messer, stieß direkt in ihr Herz. Überall war Blut und sie sah die klaffende Wunde an Lulus Hinterläufen. Der blanke Knochen blitzte hervor. Die unnachgiebigen eisernen Zähne einer Falle, die für weiß Gott wen gedacht waren, hielten die Beine der Hündin an Ort und Stelle gefangen und fraßen sich durch Fleisch, Sehnen und Knochen.
„Oh nein, meine arme Kleine…“, weinte Bell ohnmächtig. Sie konnte den Schmerz beinah selbst fühlen. Mit einem erbärmlichen Klagen antwortete die bereits geschwächte Lulu und ließ sich wieder zurückfallen. „Nicht sterben, Schätzchen, bitte...!“
Sie fiel vor der Hündin auf die Knie und schluchzte, als sie das Blutbad sah. Sie zog ihr Shirt über den Kopf und wickelte es sich mehrere Male um ihre nackten Hände. Dann beugte sie sich über Lulu, die sich nicht bewegte und nur noch ein schmerzgepresstes Schnaufen von sich gab.
„Du musst jetzt ganz tapfer sein, hörst du“, weinte Bell und legte angsterfüllten die mit ihrem Shirt bandagierten Hände um die Zähne der unbeugsamen Falle. Dann zog sie mit aller Kraft die beiden Reißzähne der todbringenden Gefahr auseinander. Sie sah, wie die gefährlichen Zacken aus Lulus Beinen schlüpften, als diese einen letzten markerschütternden Laut ausstieß. Jener Schmerz, der Hund und Mensch zu einer Einheit verschmelzen ließ, sodass Bell nicht mehr wusste, wo die Pein anfing und wo sie endete. Die scharfen Zähne hatten sich bereits tief in ihre beiden Handflächen gebohrt, doch sie ließ die Falle nicht los. Mit
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