Hengstgeflüster (German Edition)
Schlimmes“, sagte Bell mit einem vorausschauenden Blick auf die kommenden Tage.
„Wer weiß, vielleicht hat das Schicksal all diese Leute hier nur aus einem bestimmten Grund zusammengeführt“, mutmaßte Natalia wie das Orakel von Delphi.
„Du bist abergläubisch?“, fragte Bell erstaunt.
„Eigentlich nicht.“
„Aber?“
„Ich glaube eben, dass alles aus einem bestimmten Grund geschieht“, sagte die Ältere nachdenklich.
„Hm“, überlegte Bell und nahm einen tiefen Schluck. Plötzlich verspürte sie den heftigen Drang nach einer Zigarette. Einfach abartig – nach so vielen Jahren meldete sich diese verdammte Sucht zurück. Die Situation war wirklich ernst.
Sie schüttelte sich.
„Das Schicksal muss einen makabren Humor haben, wenn es uns ausgerechnet Karlee schickt.“
„Die Wege des Herrn sind unergründlich.“ Die Frauen kicherten. So lange, bis Karlee sich gebückt in die Küche schleifte.
Verdammt! Die Geister die ich rief…
„Diese Hausangestellten heutzutage“, keifte sie und ließ sich rumpelnd auf der Eckbank nieder. „Dieser mürrische Ausländer weigert sich doch tatsächlich, mir mein Zimmer herzurichten.“
Bell schmunzelte.
Natalia keuchte betreten auf. Chrispin!
„Es gibt hier keine Diener, Sie würden also besser daran tun, wenn Sie sich ein Hotel suchen würden“, meinte Bell unfreundlich. Diese hinterlistige Alte ließ ihr die Haare zu Berge stehen. Normalerweise von sanftem Gemüt, mauserte sich die neue Bell zu einem kämpferischen Kriegsweib. Verblüffend war das.
„Ich dachte ja, Sie sind das Hausmädchen hier“, meinte Karlee herablassend. „wo Sie doch so gewöhnlich aussehen.“
Oh nein, das kannte Bell schon. Solche Aussagen schmeichelten ihrem neuen Selbstbewusstsein ganz und gar nicht. Sky, der Verräter, bezeichnete sie als banal . Diese alte Schnepfe nannte sie gar gewöhnlich . Es reichte!
„Nicht wahr, so kann man sich irren“, flötete Bell bittersüß, „stellen Sie sich vor, ich dachte, Sie wären aus der Kuriositätensammlung des Zirkus Roncalli.“
„Bell ist Chris´ Verlobte“, stellte Natalia klar.
„Komisch“, meinte Karlee und spukte dabei.
Wie meinte sie das?
„Chris hat früher durchaus Geschmack bei Frauen bewiesen. Er muss vollkommen verzweifelt sein, wenn er sich mit Ihnen begnügt.“ Herausfordernd ruhte ihr Blick auf Bell.
„Ich denke, der Tiefpunkt seines Geschmacks bezüglich Frauen war die Ehe mit Pearlie“, konterte Bell geschickt, „da haben Sie recht, da kann ich nicht mithalten.“ Wenn sie einmal in Fahrt kam war sie ja nahezu unschlagbar!
Karlee schnaubte unbeeindruckt.
Ein Tiefschlag.
„Wer sind Sie überhaupt?“, stürzte sie sich auf ihr nächstes Opfer. „Schleichen hier herum wie der Geist aus der Flasche.“
Natalia blickte betreten zu Boden. Die Alte hatte zielgerichtet ins Schwarze getroffen. „Ich wohne hier“, sagte sie daher unverbindlich, „Sie übrigens nicht“, erinnerte sie Karlee an ihr unerwünschtes Eindringen.
Diese hatte sich erhoben und vor den beiden Frauen aufgebaut. Sie witterte einen Zusammenschluss gegnerischer Fronten. Eine furchtbare Erscheinung war sie. So surreal wie ein Gemälde von Van Gogh. Sie war groß, von der Statur her gebaut wie ein Mann. Wären da nicht ihre eingefallenen Schultern und der krumme Rücken, der ihr sichtbare Schmerzen bereitete. Wie ein Kanarienvogel in der Mauser sah sie aus. Ihre volle, falsche Haarpracht war wieder ordentlich frisiert und saß perfekt. Doch nachdem Bell sie vor einigen Tagen am Marktplatz regelrecht skalpiert hatte, würde sie Karlee ewig mit anderen Augen sehen. Eine Schande war das!
„Tja, Schätzchen“, schnarrte Karlee wie eine Kettensäge, „ich mag zwar alt sein, aber nicht dumm. Der Junge kann sie nicht ausstehen. Sie wohnen genauso wenig hier wie ich. Darum“, sie plusterte sich auf wie ein Schwan, „werde ich genauso hier bleiben, wie Sie es tun. Gleiches Recht für alle“, meinte sie triumphierend und mehr als herablassend. „Ich gehe jetzt diesen Nichtsnutz von Diener suchen. Nur, weil er sein Bein wie ein König vor sich herumträgt, heißt dass noch lange nicht, dass er den ganzen Tag auf der faulen Haut liegen kann.“
Sie humpelte zur Tür hinaus. „Wird Zeit, dass die Leute hier ein wenig Anstand zeigen. Früher hätte es so etwas nicht gegeben.“
„Irrenhaus“, hallte es durch das hohe Stiegenhaus.
„Verwöhnte Schnepfe“, stichelte Bell. Karlees Einfluss tat hier niemandem gut. Bell
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