Henkerin
aber er gestand nicht.
Sempach zeigte auf die Fußschrauben. Melisande nahm die Eisen auf. Es tat ihr im Herzen weh, die Zwingen um Wendels nackte Füße zu legen, denn sie wusste, dass die zarten Knochen des Fußskeletts leicht brachen. Der Schaden, den sie damit anrichtete, konnte dem Gefangenen das Laufen für den Rest seines Lebens zur Qual machen. Viel lieber hätte sie es noch einmal mit dem Riemenschneiden versucht. Sicherlich würde der Karcher erneut schnell ohnmächtig, und sie könnte die Tortur unterbrechen. Andererseits wäre ein rasches Geständnis im Augenblick das Beste. Danach würde man Wendel bis zum Prozess in Ruhe lassen, und zu diesem Prozess würde es mit Melisandes und Gottes Hilfe nie kommen. Doch das konnte sie dem Karcher leider nicht begreiflich machen. Melisande wischte den bedrückenden Gedanken fort, drehte an der Schraube, mit der die Zwinge verstellt wurde.
Wendel schrie. »Haltet ein! Bitte! Ich flehe Euch an, haltet ein!«
Melisande drehte die Schraube rasch zurück und erhob sich.
»Gesteht Ihr?«, fauchte Sempach den Karcher an.
»Ich kann nicht«, keuchte der Mann atemlos. Sein Gesicht war rot und schweißnass. »Ich kann nicht«, wiederholte er. »Ich habe es nicht getan.«
Melisande schloss kurz die Augen. Mit dieser Antwort würden sich die Richter nicht zufriedengeben. Sie deutete auf die Zange. Sempach nickte. Rasch erhitzte sie das Werkzeug im Feuer, bis die Backen glühten. Warnend hielt sie es Wendel vor das Gesicht. Seine Augen weiteten sich, doch er sagte nichts. Mit einer kräftigen Bewegung stieß sie ihm die Zange in das Fleisch seines linken Oberarms und drückte zu. Der Schrei, der seiner Kehle entfuhr, ging ihr durch Mark und Bein. Sie ließ ab, sah ihn fragend an.
»Ich habe es nicht getan«, flüsterte er. Tränen liefen über seine glühenden, schmutzigen Wangen.
Melisande hielt die Zange erneut ins Feuer, doch Sempach winkte ab. »Ich glaube, wir müssen auf etwas Wirksameres zurückgreifen«, sagte er, seine Kiefer mahlten wie eine Getreidemühle. »Dieser verfluchte Reutlinger ist sturer als ein Dutzend alte Esel.« Suchend sah er sich um. »Was ist damit?« Er deutet auf einen Eisenstab, dessen Ende wie eine Birne verdickt und mit Dornen gespickt war. Er konnte in jede beliebige Körperöffnung gestoßen werden und so dem Delinquenten Höllenqualen bereiten. Melisande hatte einmal zugesehen, wie Raimund eine Ehebrecherin und Gattenmörderin damit traktiert hatte, und sie wäre fast weggelaufen. Nie hatte Raimund von ihr verlangt, die Birne zu benutzen, und sie war ihm bis heute dankbar dafür. Den unschuldigen Karcher damit verstümmeln – nein, das brachte sie nicht fertig, da könnte sie ihn genauso gut auf der Stelle enthaupten. Sie schluckte, warf einen raschen Blick zu Karl Schedel und Henner Langkoop.
Langkoop grinste zustimmend, doch der Kürschner runzelte die Stirn. »Wir sollten ihm nicht allzu arg zusetzen.«
»So bekommen wir vielleicht das Geständnis«, gab Sempach zurück. »Ihr wisst, wie dringend wir es brauchen.«
Melisande horchte auf. Das war es also. Doch warum hatte der Rat es so eilig? Sie blickte zu dem armen Karcher, dessen Kopf auf die Brust gesunken war.
Die Richter folgten ihrem Blick. Schedel stieß einen erschrockenen Laut aus. »Was ist mit ihm?«
»Ein wenig erschöpft, würde ich sagen«, meinte Langkoop und rieb sich seine lange Nase. »Den kriegen wir schon wieder wach.« Er stieß seinen Zeigefinger in Melisandes Richtung. »Tu was, Melchior!«
Sie machte zwei Schritte, hob behutsam seinen Kopf und sah, dass Wendel wie am Vortag ohnmächtig geworden war. Erstaunt sah sie ihn an. Er hatte schreckliche Schmerzen durchlitten, doch so stark, dass sie ihm die Sinne raubten, hätten sie eigentlich nicht sein dürfen. Zumal er den schmerzlindernden Trank von ihr erhalten hatte. Da entdeckte sie die Wunde an seiner Hand. Der rechte Daumen, der noch in der Zwinge steckte, hatte angefangen, heftig zu bluten. Fast hätte sie vor Erleichterung aufgelacht. Dieser Karcher war wirklich eine Memme.
»Was hat er, Melchior?«, wollte Sempach wissen.
Melisande zuckte mit den Schultern und deutete mit einer Geste an, dass der Mann in Ohnmacht gefallen war.
»Verflucht!«, brüllte Sempach. »Das ist doch nicht möglich!«
»Ein Eimer Wasser wird ihn schon wieder zur Besinnung bringen«, sagte Langkoop. »So leicht kommt der uns nicht davon.«
Schedel stellte sich zwischen den Karcher und Sempach. »Nein. Wir unterbrechen.
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