Henkerin
Fluchen eine Sünde ist, noch dazu in diesen Räumen. Unser Henker wird schon noch Rechenschaft ablegen für sein Versäumnis, das ich allerdings für nicht schwerwiegend halte. Schließlich ist die Metze nicht während der Folter gestorben, sondern hat ihre verderbte Seele durch ihren feigen Selbstmord offenbart. Die Angelegenheit mit Reutlingen und dem Grafen ist im Augenblick allemal dringlicher.«
»Mag sein«, brummte Guirrili. »Aber ich traue dem Knaben nicht. Er hat etwas an sich, das mir nicht geheuer ist.«
Konrad Sempach lachte nervös auf. Die Unterredung nahm eine Wendung, die ihm nicht behagte. »Ihr seid doch wohl nicht abergläubisch, Meister Waldemar? Habt Ihr etwa Angst davor, dass Melchior Euch mit einem bösen Blick ins Fegefeuer befördert?«
»Ha!« Der Zunftmeister sprang auf, trat an Sempach heran und stemmte die Hände in die Hüften. »Natürlich glaube ich diesen Unfug nicht! Was mir an diesem Bürschlein nicht gefällt, hat nichts mit Hexerei zu tun. Ich traue ihm nicht über den Weg, das ist alles. Was wissen wir denn über ihn? Nichts. Vor fünf Jahren, da hat der alte Raimund, Gott sei seiner Seele gnädig, ihn mit einem Mal vor dem Rat präsentiert. Doch hat irgendwer je überprüft, ob stimmt, was er uns erzählte? Dieser Melchior könnte alles sein. Ketzer, Jude – was weiß ich. Wir haben nur das Wort eines toten Henkers für seine Herkunft.«
Wieder erhob sich lautes Gemurmel. Voller Unbehagen hatte Sempach beobachtet, wie einige der Männer bei Guirrilis Rede zustimmend genickt hatten. Er musste klug taktieren, durfte sich nicht zu offen auf Melchiors Seite stellen.
Bevor ihm etwas einfiel, das dem Disput eine günstige Wendung verleihen könnte, meldete sich Henner Langkoop zu Wort. »Jetzt, wo Ihr es sagt, Guirrili, fällt mir etwas ein. Hat dieser Bursche nicht das Recht, jederzeit die Stadt zu verlassen?«
»Ja, wie sein Onkel auch schon«, erwiderte von Türkheim müde. »Damit er Kräuter sammeln kann. Warum bringt Ihr diese Kleinigkeiten vor? Haben wir nicht Dringliches zu klären?«
»In letzter Zeit war er angeblich sehr häufig draußen im Wald«, fuhr Langkoop unbeirrt fort. »Einer der Torwächter hat es mir im Vertrauen erzählt. So viele Kräuter braucht nicht einmal der Apotheker. Außerdem ist der Wächter sicher, dass Melchior beim letzten Mal etwas Längliches in eine Decke eingewickelt hatte, als er in die Stadt zurückkehrte. Der Mann schwört, dass es ein Schwert war.«
»Was?« Gerold von Türkheim starrte Langkoop ungläubig an. »Der Henker darf außer dem Richtschwert keine Waffe führen, und auch das nur, wenn das Gericht ihn dazu auffordert.«
Karl Schedel schüttelte den Kopf. »Der Wächter wollte sich wichtigmachen, hat wohl zu tief in den Becher geschaut oder etwas anderes für ein Schwert gehalten.«
»Der Mann ist absolut vertrauenswürdig. Ich verbürge mich für ihn. Ein Schwert hatte der Henker bei sich«, wiederholte Langkoop. »Der Wächter schwört es bei seinem Leben.«
»Wir werden ihn uns vorknöpfen und ihn dem Henker gegenüberstellen. Mal sehen, ob er dann bei den Beschuldigungen bleibt«, entschied der Schultheiß.
Langkoop ließ nicht ab. »Genau genommen ist er ja nicht einmal ein Meister seines Fachs. Seine Lehre war noch nicht beendet, als Meister Raimund der Schlag traf. Wir alle hatten gehofft, dass es dem Alten irgendwann besser gehen würde. Nur deshalb haben wir hingenommen, dass ein Lehrbursche in Esslingen als Scharfrichter eingesetzt wird.«
»Nicht nur deshalb«, fuhr Enders von den Fildern dazwischen. Sein Zeigefinger zischte durch die Luft. »Sondern auch wegen seiner ungewöhnlichen Kunstfertigkeit, für die er im ganzen Land bekannt ist. Ein reisender Kaufmann erzählte mir, er habe sogar auf der Messe in Frankfurt von den Wundertaten des Esslinger Scharfrichters erzählen hören.«
»Und wenn schon«, gab Remser zurück, sichtlich verärgert über die Unterbrechung. »Der Kerl gehört vor Gericht, damit wir den Anschuldigungen gegen ihn nachgehen können. Wenn nichts dran ist, wird ihm auch nichts geschehen. Er ist ein guter Mann, ja, aber er steht nicht über dem Gesetz. Schluss jetzt damit.« Er sah die Ratsherren streng an. »Erst müssen wir die andere Angelegenheit vom Tisch bekommen. Der Karcher muss peinlich befragt werden, und zwar so, dass er schnell und umfassend gesteht, ohne allzu viel Schaden zu nehmen. Dafür brauchen wir unseren Henker. Wenn das erledigt und der Mörder aufgeknüpft ist,
Weitere Kostenlose Bücher