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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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folgte, doch offenbar lenkte Utz ein. Wenig später preschten die Reiter in Richtung Wendlingen davon. Der Händlerzug brauchte etwas länger, um wieder in Bewegung zu kommen. Melisande waren die Beine eingeschlafen, die unzähligen kleinen Schnitte auf ihrer Haut brannten und juckten. Dennoch harrte sie geduldig aus, bis auch der letzte Laut verklungen und nur noch das Rauschen den Windes und das leise Gluckern des Neckars zu hören waren.
***
    »Ruhe, meine Herren, Ruhe, wenn ich bitten darf!« Schultheiß Johann Remser klopfte mit dem Richterstab auf den Tisch. Das Gemurmel verebbte nur langsam.
    »Was ist los?«, rief Waldemar Guirrili. »Gibt es Neuigkeiten? Sind die Flüchtigen gefasst?«
    »Es gibt in der Tat Neuigkeiten«, erwiderte Remser.
    Augenblicklich trat Stille ein. Sichtlich zufrieden lehnte Remser sich zurück und strich sich über seinen feisten Leib.
    Konrad Sempach zog die Brauen hoch. Soweit er wusste, war man bei der Suche nach den Verschwundenen noch keinen Schritt weiter. Was für Neuigkeiten wollte Remser da aus dem Hut zaubern?
    »Von Melchior und dem Reutlinger fehlt leider bisher jede Spur«, erklärte der Schultheiß. »Doch ich bin zuversichtlich. Wir wissen inzwischen, dass die beiden heute in den frühen Morgenstunden durch das Obere Tor entkommen sind. Der Reutlinger war als Henkersknecht verkleidet. Melchior hat dem Wächter, ehe er es sich versah, einen Stein über den Schädel geschlagen, sodass dieser das Bewusstsein verlor.«
    »So ein Tölpel!«, entfuhr es Guirrili.
    »Wieso hat er nicht sofort Alarm geschlagen, als er wieder zu sich kam?«, fragte Enders von den Fildern.
    »Er sagt, er habe durch den Schlag auf den Schädel das Gedächtnis verloren. Erst nach und nach sei die Erinnerung an das, was geschehen ist, zurückgekommen.«
    Henner Langkoop schnaubte ungläubig. »Wir sollten seinen Beutel durchsuchen lassen. Der hat sich seinen Gedächtnisverlust bestimmt gut bezahlen lassen.«
    »Wo war denn die zweite Wache?«, wollte Karl Schedel wissen. »Der Kerl hat doch nicht allein am Oberen Tor gestanden, oder?«
    »Unterwegs auf seinem Kontrollgang die Stadtmauer entlang. Er kam erst später hinzu, als sein Kumpel reglos am Boden lag. Jedenfalls wusste der Wächter zu berichten, dass der Reutlinger kaum laufen konnte, er ist gehumpelt, hat sich auf Melchiors Schulter gestützt. Weit können die beiden also noch nicht sein. Vermutlich halten sie sich irgendwo hier in den Wäldern versteckt.« Remsers Gesicht war wie üblich rot angelaufen, sein Atem ging kurz und heftig. Sempach wäre nicht überrascht gewesen, wenn ihn mitten in der Rede der Schlag getroffen hätte.
    »Wir müssen sie erwischen, bevor die Neuigkeit bis nach Reutlingen vordringt«, sagte Gerold von Türkheim und ballte seine knochige Faust.
    »Oder zu Graf Ulrich«, ergänzte von den Fildern.
    Von Türkheim stieß einen ärgerlichen Laut aus. »Haben wir genug Männer da draußen?«
    Remser hob beschwichtigend die Hand. »Mehr als drei Dutzend sind bereits unterwegs. Eben haben sich noch weitere Freiwillige gemeldet. Die meisten suchen die Straßen nach Reutlingen ab, doch auch in allen anderen Richtungen wird jeder Stein umgedreht. Seid versichert, die beiden kommen nicht weit.«
    Wieder erhob sich Gemurmel, das Remser mit einer Handbewegung erstickte. »Ich sagte doch eben, dass es Neuigkeiten gibt.« Er räusperte sich. »Die Durchsuchung des Henkerhauses hat einen bemerkenswerten Fund zutage gebracht. Hinter der Truhe in einer der beiden Schlafkammern befand sich ein einzelnes Blatt Pergament.«
    Remser hielt inne und sah in die Runde. Sempach hätte ihm am liebsten einen kräftigen Hieb auf den Rücken versetzt. Dieser eitle Pfau ging ihm gehörig auf die Nerven.
    »Die Büttel sind natürlich nicht des Lesens mächtig«, fuhr der Schultheiß fort. »Doch ich habe die Bedeutung des Dokumentes erkannt, sobald ich es in den Händen hielt.« Er zog einen Bogen unter der Tischplatte hervor, hielt ihn mit ausgestrecktem Arm vor sich und kniff die Augen zusammen.
    Halb blind ist er auch noch, dachte Sempach.
    Remser räusperte sich, bevor er mit monotoner Stimme zu lesen begann. »Ich bin der rechte Weinstock, mein Vater der Weingärtner. Eine jegliche Rebe an mir, die nicht Frucht trägt, wird er wegschneiden, und eine jegliche, die da Frucht bringt, wird er reinigen, dass sie mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu Euch gesprochen habe.«
    Für ein paar Herzschläge war es so

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