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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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lange nicht mehr.
    Nur noch wenige Stunden. Nur noch wenige Stunden.
***
    Schweißgebadet schreckte Wendel auf. Er lag zwischen abgenagten Hühnerknochen und Brotresten unter einem Tisch. Der Burghof war leer bis auf ein paar Männer, die es Wendel gleichgetan hatten und irgendwo ihren Rausch ausschliefen. Antonius, sein Leibwächter, der ihm eigentlich nicht von der Seite weichen sollte, war nicht unter ihnen. Am Abend hatte er noch neben ihm auf der Bank gesessen.
    Wendel krabbelte unter dem Tisch hervor und blinzelte ins Sonnenlicht, das unerträglich grell in seinen Augen brannte. Er hörte ein Rauschen, das wie ein Wasserfall klang, aber aus seinem Kopf zu kommen schien. Was war in den letzten Stunden passiert? Wann war er eingeschlafen? Er konnte sich nicht einmal erinnern, welches Mädchen de Bruce als Braut erwählt hatte. War er bereits vor dem Höhepunkt des Festes eingenickt? Er dachte angestrengt nach. Es kam ihm vor, als sei er kurz vor der Verkündung des Verlöbnisses noch einmal im Weinkeller gewesen. Nicht mit dem Kellermeister, sondern allein. Doch wozu? Was hatte er da gewollt?
    Vorsichtig stand er auf, jeder Knochen tat ihm weh, und er hatte Mühe, gerade zu stehen. Langsam kehrten seine Sinne zurück, das Rauschen in seinem Schädel ließ nach und machte einem unterdrückten Stöhnen Platz, das vom Pferdestall her zu kommen schien. Wendel machte ein paar behutsame Schritte vorwärts, aber alles begann sich zu drehen, und schon bald taumelte er haltlos auf das Gebäude zu. Neugierig lugte er durch ein loses Brett.
    Wendel glaubte seinen Augen nicht zu trauen, aber was er sah, war so wirklich wie seine Gliederschmerzen. De Bruce hockte zwischen den Beinen einer halb entblößten fülligen Magd, der er mit einer Hand den Mund zuhielt. Die Magd rührte sich nicht, de Bruce dafür umso mehr. Hektisch bewegte er seine Lenden hin und her, bis er plötzlich einen kurzen Laut von sich gab, der wie ein Räuspern klang. Er sackte in sich zusammen, ließ sich auf das Mädchen sinken und atmete schwer.
    Wendel wurde es übel. Ob vom Bier oder von dem, was er gerade gesehen hatte, konnte er nicht sagen. Ohne einen Laut hangelte er sich am Stall entlang zum nächsten Wasserzuber, wo er seinen Kopf in das kühle Nass tauchte. Als er ihn wieder herauszog, ertönte von der Kapelle her ein Glöckchen. Tropfnass kniete er nieder und sprach ein kurzes Morgengebet.
    »Na, Füger, hat Euch der eigene Wein gefällt?« Jemand griff Wendel an der Schulter und drehte ihn um.
    Wendel starrte in de Bruce’ grinsendes Gesicht. »Bier«, krächzte er, froh, dass nicht mehr Worte vonnöten waren.
    De Bruce nickte wissend. »Nun denn, da hilft nur ein kleiner Ausflug. Eure Fuhrleute sind noch jenseits von Gut und Böse, also kommt mit, ich will Euch ein Schauspiel der besonderen Art bieten. Ihr mögt doch ein wenig Gefahr?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, zog der Graf Wendel mit sich und deutete auf einen Gaul, der gesattelt bereitstand. Acht Männer zu Pferde warteten schon, zwei von ihnen hatten hinter sich ein dickes Bündel festgeschnürt. Unter den Übrigen war Antonius, der Wendel kurz zunickte.
    »Auf geht’s!« De Bruce schwang sich in den Sattel, und schon ging es im gestreckten Galopp hinaus aus der Burg.
    Eine gute Stunde preschten sie über Wege und Felder, Wendel erkannte, dass sie Richtung Esslingen ritten. Auf einer Brache sprengten sie auf einen einzelnen Mann zu, der still wie eine Statue dastand, die Hände auf sein Schwert gestützt.
    Wendel stockte der Atem. Der Mann trug die Tracht eines Henkers, und das Schwert war nicht für den Kampf geschmiedet, sondern zum Richten. Die Reiter umzingelten den Henker und bildeten einen Kreis.
    Wendel schaute unruhig nach rechts und links. Was für eine Teufelei ging hier vor? De Bruce besaß keinerlei Gerichtsbarkeit, und so weit außerhalb der Stadt durfte sich ein Henker normalerweise gar nicht aufhalten.
***
    Melisande ließ ihren Blick über die Männer gleiten. Söldner, bis auf zwei. Einer trug die Kleidung eines Karchers und schaute bleich und elend drein, der andere sah in seiner grünen Tracht aus wie ein Waidmann. Ottmar de Bruce war mit einem schwarzen Wams und schwarzen Beinlingen bekleidet, nur ein leichter Panzer schützte seine Brust. Er ahnte offenbar nicht, dass der Tod ihn heute erwartete, im Gegenteil, er wirkte heiter und gelöst, begrüßte sie sogar mit einem kurzen Kopfnicken.
    Melisande unterdrückte ihre Anspannung und verneigte sich. Der

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